Einige Wochen nach den Landtagswahlen gaben CDU und GRÜNE den Abschluss ihrer Koalitionsverhandlungen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen bekannt. Die neuen Koalitionsverträge haben es in sich – auch in religionspolitischer Hinsicht.
Die Koalitionsverhandlungen sind abgeschlossen: Vor kurzem unterzeichneten sowohl die schleswig-holsteinischen als auch die nordrhein-westfälischen Vertreter von CDU und GRÜNE ihre über mehrere Wochen erarbeiteten Koalitionsverträge, die Grundlage für die jeweilige Zusammenarbeit in den nächsten fünf Jahren sein werden. In Schleswig-Holstein werden CDU und GRÜNE künftig ohne FDP regieren, in Nordrhein-Westfalen sind fortan die GRÜNEN anstelle der FDP Koalitionspartner der CDU. Die beiden Länder gehören damit künftig gemeinsam mit Hessen zu den derzeit allein von Schwarz-Grün geführten Ländern.
Neben den vor allem in den Medien sehr präsenten Themen, wie beispielsweise den entsprechenden Ausführungen zum Klimaschutz, lohnt sich aber auch ein Blick auf die in den Vereinbarungen enthaltenen religionspolitischen Themen.
Abgesehen von der generellen Verpflichtung zur Förderung von jüdischem Leben, etwa durch die Erhöhung der Sichtbarkeit, sind sich beide Länder einig, dass Antisemitismus auf allen Ebenen und in allen Erscheinungsformen bekämpft werden muss. Während Nordrhein-Westfalen dies durch die Stärkung der Arbeit der Antisemitismusbeauftragten beabsichtigt, geht Schleswig-Holstein noch einen Schritt weiter und möchte den Kampf gegen Antisemitismus dauerhaft als Staatsziel in der Landesverfassung verankern. Zudem soll eine interministerielle Arbeitsgruppe eingesetzt werden, die zum Ziel hat, einen Landesaktionsplan gegen Antisemitismus für Schleswig-Holstein zu erarbeiten.[1]
Im Sinne einer Verbesserung der religionspolitischen Situationen von Musliminnen und Muslimen will Schleswig-Holstein den unterschiedlichen islamischen Religionsgemeinden die Perspektive eröffnen, separate Staatsverträge mit dem Land zu schließen. Diese sollen sich dabei an der bereits 2021 mit den Aleviten geschlossenen Vereinbarung orientieren.[2] Eine Aussage über die grundsätzliche Möglichkeit der Erlangung des Körperschaftsstatus für islamische Religionsgemeinschaften enthält der Koalitionsvertrag jedoch nicht. Während in Nordrhein-Westfalen bereits einige islamische Religionsgemeinschaften den Körperschaftsstatus besitzen, hält der Vertrag dennoch ausdrücklich fest, dass auch weitere islamische Gemeinschaften als Religionsgemeinschaften – und somit möglicherweise ebenfalls als Körperschaft des öffentlichen Rechts – anerkannt werden können und sollen, sofern sie die rechtlichen Voraussetzungen erfüllen.[3]
Unter dem Aspekt der Integration spricht sich Nordrhein-Westfalen auch für eine deutschsprachige Ausbildung von Imaminnen und Imamen an einer staatlichen Hochschule aus, um so eine die Werte des Grundgesetzes unterstützende und von ausländischen Regierungen unabhängige Ausbildung zu ermöglichen.[4] Der Fachbereich der Islamischen Theologie an der Universität Münster soll ebenfalls weiterhin gefördert und zu einer Fakultät ausgebaut werden.[5] Perspektivisch soll zudem ein zweiter Standort für islamische Studiengänge in Nordrhein-Westfalen entstehen.[6] Auch Schleswig-Holstein will laut Koalitionsvertrag in Kooperation mit anderen Bundesländern islamische Religionslehrkräfte sowie Imaminnen und Imame in deutscher Sprache ausbilden, jedoch fehlt dazu in der Vereinbarung eine konkretere Aussage.[7]
Etwas detailliertere Ausführungen machen CDU und GRÜNE zum Religionsunterricht in Schleswig-Holstein: Veränderungen des konfessionellen Religionsunterrichts würden, auch aufgrund dessen verfassungsrechtlicher Verankerung, stets nur im Einvernehmen mit den betroffenen Religionsgemeinschaften erfolgen.[8] Bei dessen Weiterentwicklung sollen allerdings Gesichtspunkte wie die veränderte Religionszugehörigkeit und die wachsende Säkularität nicht unberücksichtigt bleiben.[9] Auch Nordrhein-Westfalen garantiert den bekenntnisorientierten Religionsunterricht und möchte diesen gemeinsam mit den Kirchen und Religionsgemeinschaften zukunftsfest weiterentwickeln, erwähnt aber ebenfalls, dass die zunehmende konfessionelle und religiöse Vielfalt eine Öffnung hin zu interreligiösen Unterrichtsmodellen erforderlich mache.[10] Aufbauend auf dem konfessionell-kooperativen Religionsunterricht der evangelischen und katholischen Kirche soll daher im Dialog mit allen am Religionsunterricht beteiligten Kirchen und Religionsgemeinschaften sowie der Kommission für den Islamischen Religionsunterricht zu den Möglichkeiten des interreligiösen Lernens beraten werden.[11] Der islamische Religionsunterricht selbst soll auf der bestehenden Grundlage weiter ausgebaut und insbesondere progressiven Verbänden die Beteiligung am Kommissionsmodell ermöglicht werden.[12] Dem wachsenden Anteil nicht religiös gebundener Schülerinnen und Schüler in Nordrhein-Westfalen soll durch den Ausbau der Fächer Praktische Philosophie von der Grundschule an und Philosophie entsprochen werden.[13]
Generell sprechen sich beide Länder dafür aus, interreligiöse Dialoge, Formate und Angebote umfassend zu begleiten und zu unterstützen.[14]
Den Bestrebungen des Bundes in Bezug auf die Ablösung der Staatsleistungen stehen sowohl Schleswig-Holstein als auch Nordrhein-Westfalen grundsätzlich positiv gegenüber; sie sind für entsprechende Vereinbarungen mit den Kirchen auf Landesebene offen.[15]
Abseits dieser sich im Wesentlichen überschneidenden inhaltlichen Ausrichtung setzen die beiden Länder jedoch auch jeweils eigene Akzente. So will Nordrhein-Westfalen zusätzlich die gesellschaftliche Diskussion über stille Feiertage, ihre Bedeutung und Ausgestaltung aufgreifen und sie in einen ergebnisoffenen, landesweiten und moderierten Diskussionsprozess überführen.[16] Schleswig-Holstein tritt für eine religiöse wie nicht-religiöse Gefängnisseelsorge ein[17] und verspricht zudem die Bekämpfung und Aufarbeitung der sexualisierten Gewalt gegen Kinder und Jugendliche auch im kirchlichen Bereich.[18] Darüber hinaus strebt Schleswig-Holstein die Einführung einer Religionsministerkonferenz der Länder an, um die Abstimmung einer gemeinsamen Religionspolitik realisieren zu können[19] – letztlich könnte dies auch dabei helfen, Religionspolitik als eigenständiges Politikfeld sichtbarer zu machen.
Trotz einiger feiner Unterschiede wird also deutlich, dass Schwarz-Grün auf Landesebene grundsätzlich eine ähnliche Linie fährt. Ob und wie die in den Koalitionsverträgen niedergelegten religionspolitischen Ziele erreicht werden, bleibt allerdings abzuwarten. Ein regelmäßiger Vergleich der Entwicklungen dürfte daher aber umso spannender sein.
Fußnoten
↑1 | Für den ganzen Absatz vgl. CDU und Bündnis 90/DIE GRÜNEN (2022): Ideen verbinden. Chancen nutzen. Schleswig-Holstein gestalten. Koalitionsvertrag für die 20. Wahlperiode des Schleswig-Holsteinischen Landtages, S. 49; CDU und Bündnis 90/DIE GRÜNEN (2022): Zukunftsvertrag für Nordrhein-Westfalen. Koalitionsvereinbarung, S. 130. |
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↑2 | Vgl. Koalitionsvertrag von Schleswig-Holstein (2022), S. 50. |
↑3 | Vgl. Koalitionsvertrag von Nordrhein-Westfalen (2022), S. 130. |
↑4 | Vgl. Koalitionsvertrag von Nordrhein-Westfalen (2022), S. 131 |
↑5 | Vgl. Koalitionsvertrag von Nordrhein-Westfalen (2022), S. 63. |
↑6 | Vgl. ebd. |
↑7 | Vgl. Koalitionsvertrag von Schleswig-Holstein (2022), S. 16. |
↑8 | Vgl. ebd. |
↑9 | Vgl. ebd. |
↑10 | Vgl. Koalitionsvertrag von Nordrhein-Westfalen (2022), S. 62. |
↑11 | Vgl. Koalitionsvertrag von Nordrhein-Westfalen (2022), S. 63. |
↑12 | Vgl. ebd. |
↑13 | Vgl. ebd. |
↑14 | Vgl. Koalitionsvertrag von Schleswig-Holstein (2022), S. 50; Koalitionsvertrag von Nordrhein-Westfalen (2022), S. 130. |
↑15 | Vgl. ebd. |
↑16 | Vgl. Koalitionsvertrag von Nordrhein-Westfalen (2022), S. 130. |
↑17 | Vgl. Koalitionsvertrag von Schleswig-Holstein (2022), S. 50. |
↑18 | Vgl. Koalitionsvertrag von Schleswig-Holstein (2022), S. 100. |
↑19 | Vgl. Koalitionsvertrag von Schleswig-Holstein (2022), S. 50. |
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