Das Kreuz gilt in Bayern als Symbol der engen Verwurzelung des Freistaats mit der christlich-abendländischen Tradition. Anlass für eine Diskussion über dessen rechtliche Bedeutung gab es seit dem 1995 entschiedenen Kruzifix-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts allerdings bis vor einigen Jahren nur selten. Anfang Juni gab der Bayerische Verwaltungsgerichtshof nun den Tenor seines Urteils über eine – erfolglose – Klage gegen den sog. Kreuzerlass bekannt. Knapp drei Monate später liegen auch die Entscheidungsgründe vor. Nach Ansicht des Gerichts verletzt das Anbringen von Kreuzen in bayerischen Behördengebäuden das staatliche Neutralitätsgebot. Ein einklagbares Recht auf Abhängen der Kreuze bzw. auf die Aufhebung der entsprechenden Rechtsgrundlage ergebe sich daraus jedoch nicht. Die Diskussion um das Kreuz nimmt erneut Fahrt auf.
Anlass für das Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (VGH Bayern) gab der sog. Kreuzerlass der bayerischen Landesregierung. Im Frühjahr 2018, kurz nach Übernahme der Amtsgeschäfte durch den amtierenden Ministerpräsidenten, verkündete dieser medienwirksam eine Änderung der Allgemeinen Geschäftsordnung für die Behörden des Freistaates Bayern (AGO). Nach der Neufassung des § 28 AGO ist fortan in den Eingangsbereichen eines jeden Dienstgebäudes als Ausdruck der geschichtlichen und kulturellen Prägung Bayerns gut sichtbar ein Kreuz anzubringen. § 36 AGO enthält die Empfehlung, dass auch Gemeinden, Landkreise und andere juristische Personen des öffentlichen Rechts nach dieser Geschäftsordnung verfahren. Auch sie werden somit mittelbar zur Anbringung von Kreuzen in ihren Amtsgebäuden aufgefordert.
Gegen den Erlass dieser Vorschrift zogen der Bund für Geistesfreiheit Bayern, der Bund für Geistesfreiheit München sowie 25 Einzelpersonen gemeinsam vor das Münchener Verwaltungsgericht (VG München).[1] Mit ihren ersten beiden Klageanträgen begehrten sie einerseits, die bayerische Staatsregierung zur Aufhebung von § 28 AGO zu verpflichten und andererseits infolgedessen den Gemeinden, Landkreisen, Bezirken und sonstigen juristischen Personen des öffentlichen Rechts zu empfehlen, die in Befolgung von § 36 AGO angebrachten Kreuze zu entfernen. Im Falle der Erfolglosigkeit dieser Klagebegehren, sollte die Landesregierung hilfsweise durch den dritten Klageantrag dazu verpflichtet werden, zumindest die aufgrund von § 28 AGO im Eingangsbereich von Dienstgebäuden angebrachten Kreuze zu entfernen. Während sich das VG München im Mai 2020 hinsichtlich der Entscheidung über die Aufhebung von § 28 AGO für sachlich unzuständig erklärte und diesen Teil der Klage zur Normenkontrolle an den VGH Bayern[2] verwies, verblieben die anderen beiden Klageanträge nach Abtrennung des Verfahrens beim VG München[3].
Das VGH Bayern entschied nun knapp zwei Jahre später, dass durch die mittels § 28 AGO veranlasste Aufhängung von Kreuzen im Eingangsbereich staatlicher Dienststellen das objektiv-rechtliche Neutralitätsgebot verletzt werde.[4] Entgegen der Ansicht der Bayerischen Staatskanzlei sei das Kreuz Symbol einer bestimmten religiösen Überzeugung und nicht etwa nur Ausdruck der vom Christentum mitgeprägten abendländischen Kultur. Schließlich sei das Kreuz für Nichtchristen oder Atheisten sinnbildlicher Ausdruck bestimmter Glaubensüberzeugungen und Symbol seiner missionarischen Ausbreitung. Wenn man das Kreuz hingehen lediglich als bloßen Ausdruck abendländischer Tradition oder als kultisches Zeichen ohne spezifischen Glaubensbezug ansehe, liege darin allerdings eine dem Selbstverständnis des Christentums und der christlichen Kirchen zuwiderlaufende Profanisierung des Kreuzes. Grundsätzlich könne das Kreuz zwar auch als ein rein säkulares Symbol, aber ebenso auch als das zentrale Zeichen des Christentums verstanden werden. Durch die Anbringung der Kreuze in den Eingangsbereichen der staatlichen Dienstgebäude werde das Symbol des christlichen Glaubens in einem öffentlich zugänglichen staatlichen Raum präsentiert. Da die Symbole anderer Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften jedoch nicht in gleicher Weise ausgestellt werden, liege darin, so die Auffassung des VGH Bayern, eine sachlich nicht begründete Bevorzugung des christlichen Symbols.
Die Pflicht des Staates zur weltanschaulich-religiösen Neutralität ist allerdings ein objektiv-rechtliches Verfassungsprinzip und begründet als solches kein einklagbares subjektives Recht.[5] Für ein solches ist nicht nur eine Berührung des Schutzbereichs, sondern ein nicht gerechtfertigter, benachteiligender Eingriff in die Grundrechte der Kläger – vorliegend in Art. 4 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG – erforderlich. Eine Verletzung der Kläger in ihren Grundrechten sei jedoch gerade nicht ersichtlich.[6] Schließlich werden die Kreuze nach § 28 AGO lediglich in Eingangsbereichen der Behördengebäude angebracht. Behördenbesucherinnen und -besucher seien in solchen Durchgangsbereichen nur flüchtig mit diesen konfrontiert und könnten Abstand halten.[7] Das Kreuz sei ein im Wesentlichen passives Symbol ohne missionierende oder indoktrinierende Wirkung und ihm komme dadurch keine den christlichen Glauben fördernde und damit die Weltanschauungsfreiheit der Kläger potenziell beeinträchtigende Wirkung zu. Die Klage auf Verpflichtung zur Aufhebung von § 28 AGO wurde letztlich als unbegründet abgewiesen. Somit war das Verfahren vor dem VGH Bayern erfolglos.
Die übrigen beim VG München verbliebenen Klageanträge auf Entfernung der in Befolgung von §§ 28 und 36 AGO aufgehängten Kreuze waren bereits im September 2020 mangels Klagebefugnis als unzulässig abgewiesen worden.[8] In Bezug auf die nach § 28 AGO angebrachten Kreuze mangele es an einer Geltendmachung der individuellen und subjektiven Betroffenheit der Kläger hinsichtlich konkreter Kreuze, durch die sie in ihren Rechten verletzt seien. Dem Klageantrag auf Rücknahme der Empfehlung an die Kommunen nach § 36 AGO fehle es hingegen an einem Rechtsschutzbedürfnis. Gegen dieses Urteil beantragten alle 27 Kläger die Zulassung der Berufung vor dem VGH Bayern. Sie waren jedoch nur teilweise erfolgreich: Die Berufung wurde lediglich für die beiden Bünde für Geistesfreiheit Bayern und München zugelassen – diese blieb allerdings im Ergebnis ohne Erfolg.[9] Die Berufungszulassung der 25 Einzelpersonen wurde indessen mangels Vorliegen eines Berufungsgrunds direkt abgelehnt.[10]
Während die Entscheidung darüber, dass die Kreuze trotz Verstoß gegen das Neutralitätsgebot vorerst hängen bleiben dürfen, von Befürworterinnen und Befürwortern des Kreuzerlasses sehr begrüßt wurde, ließ auch die Kritik daran nicht lange auf sich warten. Kritisiert wird dabei insbesondere, dass es bei der Aufrechterhaltung des Kreuzerlasses weniger um die individuelle Wirkung auf die einzelnen Behördenbesucherinnen und -besucher geht, sondern vielmehr um das politische Signal, welches damit in einem eigentlich säkularen Staat gesendet wird. In Anbetracht des vom VGH Bayern festgestellten Verfassungsverstoßes stellt sich zudem auch die rechtsstaatliche Frage nach der Wesentlichkeit eines solchen Erlasses. Konnte die Verpflichtung zur Anbringung von Kreuzen überhaupt als – schwer justiziable – Verwaltungsvorschrift ergehen oder wäre aufgrund der Wesentlichkeitstheorie[11] und zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes nicht eigentlich eine gesetzliche Regelung erforderlich gewesen?
Für die Kläger hat sich die Sache noch nicht erledigt. Die Bünde für Geistesfreiheit Bayern und München haben bereits angekündigt, Revision einzulegen.[12] Es bleibt daher abzuwarten, ob das Bundesverwaltungsgericht den Kreuzerlass zum Anlass nehmen wird, zu prüfen, unter welchen Voraussetzungen eine Verletzung des staatlichen Neutralitätsgebots durch die Anbringung von christlichen Symbolen in Dienstgebäuden zugleich einen Verstoß gegen die Gleichbehandlung der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften aus Art. 4 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG begründen kann.
Fußnoten
↑1 | Vgl. VG München, Beschluss vom 27.05.2020 – Az. M 30 K 18.4955 = openJur 2021, 16043. |
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↑2 | Vgl. Bayerischer VGH, Urteil vom 01.06.2022 – Az. 5 N 20.1331 = openJur 2022, 17180. |
↑3 | Vgl. VG München, Az. M 30 K 20.2325. |
↑4 | Vgl. Bayerischer VGH, Urteil vom 01.06.2022 – Az. 5 N 20.1331 = openJur 2022, 17180, Rn. 40. |
↑5 | Vgl. ebenda, Rn. 43. |
↑6 | Für nähere Ausführungen vgl. ebenda, Rn. 45 ff. m. w. N. |
↑7 | Vgl. ebenda, Rn. 48. |
↑8 | Vgl. Bayerischer VGH, Urteil vom 01.06.2022 – 5 B 22.674 = openJur 2022, 17178, Rn. 14. |
↑9 | Vgl. Bayerischer VGH, Urteil vom 01.06.2022 – 5 B 22.674 = openJur 2022, 17178. |
↑10 | Vgl. Bayerischer VGH, Beschluss vom 23.08.2022 – 5 ZB 20.2243 = openJur 2022, 17181. |
↑11 | Die vom Bundesverfassungsgericht entwickelte Wesentlichkeitstheorie besagt, dass wesentliche Angelegenheiten zwingend durch die Legislative geregelt werden müssen und nicht auf die Exekutive delegiert werden können, vgl. BVerfGE 61, 260 (275). |
↑12 | Vgl. Bund für Geistesfreiheit Bayern (2022): Kreuze verstoßen gegen die staatliche Neutralitätspflicht, bleiben aber trotzdem hängen, 15.09.2022, abrufbar unter: https://bfg-bayern.de/node/3278 (abgerufen am 29.09.2022). |
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