Religionspolitik sollte in Deutschland als eigenständiges Politikfeld etabliert werden. Denn die Kooperationsbeziehungen zwischen Staat und
Religionsgemeinschaften gewinnen an Bedeutung. Hervorgerufen wird dies durch eine wachsende, multireligiöse Gesellschaft.
Die grundgesetzlich angelegte Organisation von Kooperationsbeziehungen zwischen Staat und Religionsgemeinschaften war lange ein politischer Nebenschauplatz. Die religiösen Verhältnisse in Deutschland waren stabil und die weitergeltenden staatskirchenrechtlichen Bestimmungen der Weimarer Reichsverfassung wurden kaum thematisiert. Ohnehin galt die Säkularisierungsvermutung, nach der Religion insgesamt und damit auch die Organisation von Kooperationsbeziehungen zwischen den Religionsgemeinschaften und dem Staat an Bedeutung abnehmen würden. Diese Vermutung hat sich als falsch erwiesen. Mit dem Wachsen nichtchristlicher Glaubensgemeinschaften in Deutschland und der zunehmenden Zahl an Konfessionslosen tritt die Religionspolitik aus ihrem Schattendasein heraus. Dadurch nimmt der Regelungsbedarf zu. Die Politik sollte auf diesen Bedeutungszuwachs religionspolitischer Handlungsfelder reagieren und die Zusammenarbeit zwischen Staat und Glaubensgemeinschaften als eigenständiges Politikfeld begreifen.
Neue Herausforderungen
Seit den Neunzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts lässt sich in Deutschland ein stetiger Zuwachs an religionspolitischem Handlungsbedarf feststellen. Der Hintergrund ist offensichtlich. Deutschland ist in religiös-weltanschaulicher Hinsicht vielfältig geworden. Viele Muslime leben mittlerweile hier, die Bedeutung der jüdischen Gemeinden wächst ebenso wie die Zahl der Anhänger anderer Konfessionen. Nicht zuletzt steigt die Zahl der Konfessionslosen stetig. Deutschland entwickelt sich zu einem Land, das zwar nach wie vor christlich geprägt ist, aber zunehmend auf die Herausforderungen und Erwartungen einer multireligiöser geprägten Gesellschaft reagieren muss. Neue Gesetze zum Umgang mit Beschneidungen und Kopftüchern und zum betäubungslosen Schlachten wurden erlassen. Eine Vielzahl neuer Regelungen für Moscheebau, Gebetsruf, Feiertage, Schulunterricht, Anbringung von Kreuzen in öffentlichen Gebäuden und Imamausbildung wurden verabschiedet oder werden diskutiert.
Neue Initiativen
Aber nicht nur Gesetzgeber und Gerichte befassen sich mit den neuen multireligiösen Realitäten in Deutschland. In den vergangenen Jahrzehnten ist außerdem eine nahezu unübersichtliche Vielzahl an Organisationen, Initiativen und Gremien entstanden, welche die Zusammenarbeit von Religionsgemeinschaften und Staat sowie die Gesellschaft direkt und indirekt betreffen. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang religiöse Dachverbände, ethnisch-religiöse Lobbygruppen, religionspolitische Gremien, religions- und integrationspolitische Arbeitskreise und Think Tanks. Gleichzeitig trieb die Politik die Institutionalisierung voran. Nach der Einberufung der Deutschen Islam Konferenz wurden in mehreren Ländern Lehrstühle für Islamische Theologie eingerichtet, die Gründung von muslimischen Wohlfahrtsverbänden angeregt und eine Vielzahl von Beiräten als Übergangslösung zur Klärung von Fragen mit religiösem Bezug gegründet.
Zwischen den politischen Stühlen
Bei all diesen Institutionalisierungsansätzen erweist es sich immer wieder als hinderlich, dass Religionspolitik im politischen System und vor allem auch im politischen Denken der Bundesrepublik Deutschland institutionell nicht klar verortet ist. Oft wird sie noch nicht einmal als eigenständiges Politikfeld wahrgenommen. Politisch zuständig sind die Innenresorts. Aber auch die Ressorts Bildung, Forschung, Justiz, Integration, Soziales und Außen sind betroffen. Akademisch bewegt sich Religionspolitik irgendwo zwischen Staatskirchenrecht, Soziologie, Religions- und Politikwissenschaften – mit jeweils geringen Überschneidungen und zum Teil sehr unterschiedlichen Perspektiven. Die Folgen sind offensichtlich: Während der politische Regelungsbedarf steigt, fehlt es an klaren Zuständigkeiten, Ansprechpartnern und Übersichtlichkeit. Das gilt nicht nur für Fragen mit Bezug zum Islam, sondern bezieht sich auf alle Religionsgemeinschaften, deren Rechte aufgrund eines steigenden Säkularisierung und Pluralisierung diskutiert werden.
Ein neues Politikfeld?
Religionspolitik ist mehr als ein Modethema. Politisch und institutionell muss dem Rechnung getragen werden, indem die Zusammenarbeit zwischen Staat und Religionsgemeinschaften auch institutionell im politischen System dargestellt wird. Der Umgang mit religiös-weltanschaulicher Vielfalt und die gesellschaftliche Rolle von Religion müssen aktiv gestaltet werden. Eine Voraussetzung dafür wäre, in den zuständigen Ministerien und Behörden eigene religionspolitische Arbeitseinheiten einzurichten, in denen Zuständigkeiten gebündelt und eine höhere Professionalität und Sprechfähigkeit gewährleistet werden könnte. Religionspolitik wäre so nicht länger nur ein Thema für Juristen, Soziologen, Islamkenner, Politologen und Sicherheitsexperten, sie wäre dann vor allem ein Thema für Religionspolitiker.
Dieser Beitrag erschien am 18. Januar 2019 als Erstveröffentlichung auf kas.de
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