Die neue Grundordnung des kirchlichen Arbeitsrechts hat in vielen Bereichen zu einer Stärkung der Rechte von LGBTIQ-Personen im kirchlichen Dienst geführt. Ausgerechnet an den theologischen Fakultäten an staatlichen Universitäten wird die Diskriminierung jedoch fortgeführt. Bei der Berufung von Professor*innen darf die Kirche auch entgegen den akademischen Kriterien Personen wegen eines für sie unangebrachten „Lebenswandels“ ausgrenzen. Kein Thema für die Religionspolitik?
Im Januar 2022 brachte die Bewegung „Out in Church“ als gesammelter Aufschrei den eklatanten Missbrauch des kirchlichen Arbeitsrechts für gezielte Diskriminierung von LGBTIQ*-Personen in die Öffentlichkeit. Machtmissbrauch innerhalb der Kirche war zu dem Zeitpunkt bereits umfassend aufgedeckt worden, die Art und Weise aber wie mit Mitarbeitenden in Einrichtungen kirchlicher Trägerschaft – Gemeinden, Schulen, Kindergärten, Krankenhäuser etc. – umgegangen wurde (und teilweise wird), die nicht der Norm kirchlicher Morallehre entsprechen, zeigte eine neue Dimension. Wie in einer Parallelwelt durften kirchliche Arbeitgeber*innen den Diskriminierungsschutz des deutschen Arbeitsrechts unter dem Deckmantel der Religionsfreiheit umgehen und unterwandern. Dies hat sich mit der Neufassung der Grundordnung des kirchlichen Arbeitsrechts ansatzweise geändert; die Kirchenleitungen haben außerdem Fehler eingestanden sowie Arbeitsbereiche für queere Pastorale und LGBTIQ+-Beauftragte eingerichtet.
Die Hoffnung auf einen umfassenden Kulturwandel innerhalb der deutschen katholischen Kirche im Verhältnis zu queeren Lebensweisen wird jedoch schnell ernüchtert, wenn man sich, wie die Autorin, als offene queere Person auf einen Lehrstuhl in katholischer Theologie an einer staatlichen Universität bewirbt. Obwohl an dieser Stelle die Prinzipien der Wissenschaftsfreiheit und das Arbeitsrecht an Hochschulen einen grundsätzlichen Schutz bieten sollten, gehört die akademische Theologie zu einem weiteren Bereich kirchlichen Sonderrechts in Bezug auf queere Lebensformen. Dies wird sowohl innerhalb der deutschen Wissenschaftslandschaft als auch im Bereich der Wissenschafts- und Religionspolitik kaum wahrgenommen, sorgt jedoch seit vielen Jahrzehnten für massive Eingriffe in die Wissenschaftsfreiheit und in das persönliche Leben von Wissenschaftler*innen. Grund dafür ist, dass für den Bereich der konfessionsgebundenen Theologien an Hochschulen nicht die Grundordnung des kirchlichen Arbeitsrechts gilt, sondern das Konkordat, welches der katholischen Kirche ein weitgehendes Mitspracherecht bei der Besetzung von Lehrstühlen jenseits der wissenschaftlichen Kriterien garantiert. Die Fortschritte des deutschen kirchlichen Arbeitsrechts sind also außer Kraft gesetzt, da durch das Konkordat ein direkter Eingriff Roms (und nicht nur der deutschen Bischöfe) in das deutsche Arbeitsrecht vorgesehen ist.
Die im Januar 2024 veröffentlichte Studie „Nihil Obstat: Verfahren und Auswirkungen“[1] von AGENDA e. V. und dem Zentrum für angewandte Pastoralforschung zap in Bochum hat erstmals gezeigt, wie die sogenannte kirchliche Unbedenklichkeitsprüfung vielfache Möglichkeiten zum institutionellen Eingriff in das wissenschaftliche Arbeiten, Karriereplanungen und persönliche Lebensgestaltung bietet. Wie die Studie auch nachweist, werden diese Möglichkeiten aktiv und teilweise systematisch durch den kirchlichen Machtapparat genutzt, um unliebsame Theologien zu unterdrücken, Personen aufgrund des Geschlechts oder der persönlichen Lebensführung auszuschließen. Der jüngste Fall der Universität Regensburg[2]zeigt, dass ein Bischof durch das Nihil-Obstat-Verfahren eine ganze Fakultät unter Druck setzen kann; wie in meinem persönlichen Fall wurde aufgrund meines Familienstands – einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft – kein römisches Nihil-Obstat, sondern eine bischöfliche Lehrerlaubnis mit Einschränkungen erteilt.
Das Verfahren sieht vor, dass die Universitäten im Fall einer Erstberufung nach dem akademischen Berufungsverfahren für eine Lehrstuhlbesetzung und vor bzw. gleichzeitig mit dem Ruf an den Kandidaten bzw. die Kandidatin den Ortsbischof bittet, die kirchliche Lehrbefugnis für die Person in Rom einzuholen. Neben dem Ortsbischof bzw. durch ihn werden die Deutsche Bischofskonferenz und der Vatikan um eigene Gutachten gebeten, die darstellen sollen, ob die Person in „Lehre und Lebenswandel“ den Ansprüchen der katholischen Kirche genügt. Geprüft werden Publikationen sowie alle zugänglichen Informationen zum Lebenswandel der Person. Die häufigsten Anhaltspunkte für ein Nichtbestehen der Unbedenklichkeitsprüfung sind laut der Studie unliebsame Forschungsthemen (etwa Gender-Theorien, Frauen-Ordination, Machtmissbrauch durch die Kirche etc.), und/oder Lebensformen, die im Konflikt mit dem kirchlichen Lehramt stehen, also sogenannte „irreguläre“ Beziehungsformen wie verheiratete oder verpartnerte LGBTIQ*-Personen oder wiederverheiratete Geschiedene. All dies kann im Übrigen auch zu einem nachträglichen Entzug der Lehrerlaubnis führen, was eine permanente Einschränkung der wissenschaftlichen Arbeit und persönlichen Lebensform darstellt.
Diese Situation führt einerseits zu einem systematischen Umgehen kritischer Themen in der Wissenschaftsbiographie, was wissenschaftsstrategisch ein schwerwiegendes Problem darstellt. Vor allem aber besteht hier eine strukturelle Diskriminierung für LGBTIQ*-Personen, die zu einem systematischen Verschweigen und Vertuschen von persönlichen Lebenssituationen und entsprechenden negativen Folgen für Inklusivität und Diversität von Fakultäten sowie für die mentale Gesundheit der betroffenen Personen führt. Die Intransparenz des Verfahrens und der Spagat zwischen wissenschaftlichen Kriterien und kirchlicher Lehrautorität resultieren außerdem in machtmissbräuchlichen Strukturen, die sich von Rom über die Bistümer bis zu den Fakultäten auswirken. Unter dem Druck akademischer Konkurrenz und universitärer Kürzungszwänge müssen die Fakultäten vorausschauend Konflikte in den Berufungsverfahren vermeiden. Gleichzeitig gibt es starke Abhängigkeitsverhältnisse von den lokalen Bistümern, in denen teilweise einflussreiche rechts-katholische Gruppierungen Druck ausüben. Informationen über das persönliche Leben der Wissenschaftler*innen werden ohne deren Zustimmung benutzt, was allerdings selten (vermutlich nie) dokumentiert wird. Unabhängig davon, ob diese persönlichen Informationen zum Vorteil der Kandidat*innen oder zu deren Denunziation genutzt werden, erzeugen die Beteiligten so Intransparenz, Machtmissbrauch und Misstrauen. Verfahren sind ohne Dokumentation im Nachhinein nicht mehr anfragbar, erhalten jedoch eine toxische Langzeitwirkung, die wissenschaftliches und kollegiales Arbeiten dauerhaft erschwert. Selbst beim Erfolg eines solchen Verfahrens bleiben die einzelnen Personen dadurch paradoxerweise äußerst vulnerabel.
Als ordentliche*r Professor*in im Beamtenverhältnis auf Lebenszeit befindet man sich in einer komplexen Situation: Es ist fraglos eines der privilegiertesten Arbeitsverhältnisse und Karrierestufen im deutschen Arbeitsmarkt, welches man sowohl für die eigene Forschung als auch für die Förderung der Nachwuchswissenschaftler*innen nutzen möchte. Gerade zu letzterem, der Begleitung von jungen Wissenschaftler*innen auf ihrem Weg zur wissenschaftlichen Karriere, gehört jedoch die Ehrlichkeit über die massiven Eingriffe in die persönliche Lebensführung und die akademische Freiheit, die sie erwarten. Eine öffentliche Debatte über die Missstände, geschweige denn gerichtliche Verfahren gegen die Diskriminierung sind dabei mit hohen persönlichen, aber auch religionspolitischen Risiken verbunden: Am Konkordat hängen nicht nur die katholischen Fakultäten an staatlichen Universitäten, sondern auch diverse andere, vorrangig soziale Einrichtungen, deren Status nicht gefährdet werden soll. Die öffentliche Kritik an den Machtsystemen, von denen man gleichzeitig als Professor*in der Theologie an staatlichen Universitäten profitiert, können als unkollegiales Agieren qualifiziert werden, womit eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zumindest erschwert wird. Das Verhältnis zur Kirche, die eine wichtige Bezugsgröße der akademischen katholischen Theologie ist, wird durch das Verfahren selbst und durch eine öffentliche Kritik daran nachhaltig gestört; ein vertrauensvoller Austausch über wissenschaftliche Erkenntnisse ist kaum mehr möglich. Und für die katholische Kirche selbst verstärkt sich der Legitimationsdruck im Wissenschaftsbetrieb durch eine öffentliche Thematisierung der Missstände bezüglich Wissenschaftsfreiheit und kirchlichem Machtmissbrauch.
Diese komplexen Abhängigkeiten führen dazu, dass die offensichtlichen Probleme höchstens im kleinen Kreis besprochen und teilweise kosmetische Veränderungen wie größere Transparenz oder schnellere Bearbeitung der Anträge vorgeschlagen werden können. Für eine grundsätzliche, auch wissenschaftspolitische Infragestellung des Systems an sich und seiner inhärenten Diskriminierungs- und Missbrauchsanfälligkeit könnte es jedoch nur kommen, wenn zum einen – ähnlich wie bei „Out in Church“ – erkennbar wird, dass es sich nicht um vereinzelte Fälle handelt, die von dem Machtmissbrauch und der Diskriminierung betroffen sind. Zum anderen bräuchte es aber eine offen geführte Diskussion über die Entflechtung von kirchlicher Macht und Wissenschaft und über die Relevanz einer unabhängigen Theologie für die Wissenschaftslandschaft und die Gesellschaft auch jenseits der Bezugsinstitution Kirche.[3] Das sollte fraglos auch im Interesse der Religionspolitik sein, die sich ja ausdrücklich für die Präsenz der Theologien im wissenschaftlichen und öffentlichen Diskurs und die Stärkung kritischer akademischer Theologie einsetzt. Dann aber sollte nicht nur der finanzielle Druck auf die Fakultäten und Institute wachsen, denen die Studierenden – auch aufgrund der mangelnden Diversität und diskriminierenden Karrierechancen – wegbrechen, sondern Theologien und Kirche müssten durch die Wissenschafts- und Religionspolitik stärker ins Gespräch geholt werden, über die Zukunft der wissenschaftlichen Theologie und über verbindliche Maßnahmen, Machtmissbrauch und Diskriminierung auszuschließen.
Fußnoten
↑1 | Vgl. Zentrum für angewandte Pastoralforschung/AGENDA Forum katholischer Theologinnen e. V. (o. D.): Nihil obstat: Verfahren und Auswirkungen, unter: https://www.zap-bochum.de/projects/nihil-obstat-verfahren-und-auswirkungen/ (abgerufen am 15.08.2024). |
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↑2 | Vgl. Lisa Schnell (2024): Wer kein Priester ist, muss draußen bleiben, sueddeutsche.de am 03.04.2024, unter: https://www.sueddeutsche.de/bayern/universitaet-regensburg-bischof-rudolf-voderholzer-nihil-obstat-regensburg-1.6516665 (abgerufen am 15.08.2024). |
↑3 | Siehe Thomas Schüller, Unheilige Allianz. Warum sich Staat und Kirche trennen müssen, München 2023. |
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