Warum die Islampolitik mehr Religionspolitik braucht

04. 11. 2021

Auch wenn das religiöse Feld insgesamt im Wandel ist, so ist die Einpassung des Islams in das deutsche Staats-Religionsverhältnis immer wieder Gegenstand politischer Debatten, in denen integrations- und sicherheitspolitische Anliegen mitschwingen. Diese Debatten bedürfen eines breiteren religionspolitischen Blicks, um über ad-hoc-Lösungen hinauszureichen. Aktuelle Themen im Bereich der res mixtae sind: Religionsunterricht an öffentlichen Schulen/Theologie an Hochschulen und Anstaltsseelsorge/Militärseelsorge.

In der Trennung von Staat und Religion liegt immer auch eine Verhältnisbestimmung, zuweilen auch eine Kooperation zwischen beiden begründet. Denn Religion hat auch eine organisatorische, soziale und öffentliche Dimension. Staat und Religionsgemeinschaften müssen ihr Verhältnis zueinander an wandelnde Gegebenheiten anpassen und verflochtene Bereiche (res mixtae) im Sinne des Religionsverfassungsrechts regeln. Dies ist das Feld der Religionspolitik.

Auch wenn das religiöse Feld insgesamt im Wandel ist, so ist die Einpassung des Islams in das deutsche Staats-Religionsverhältnis immer wieder Gegenstand politischer Debatten, in denen integrations- und sicherheitspolitische Anliegen mitschwingen – etwa bei der Deutschen Islam Konferenz. Diese Debatten bedürfen eines breiteren religionspolitischen Blicks, um über ad-hoc-Lösungen hinauszureichen. Aktuelle Themen im Bereich der res mixtae sind:

Religionsunterricht an öffentlichen Schulen/Theologie an Hochschulen: Im Grundgesetz ist dieses res mixtae in Art. 7 Abs. 3 GG verankert. Der Staat bildet Lehrer:innen aus, autorisiert durch den Abschluss an öffentlichen Universitäten, und stellt sie ein. Doch die jeweilige Religionsgemeinschaft entscheidet, was gelehrt wird – natürlich im Rahmen der gesamtdidaktischen Ziele und der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Die Ausbildung von Lehrkräften für den islamischen Religionsunterricht erfolgt in einigen Bundesländern seit über zehn Jahren durch die islamische Theologie an deutschen Hochschulen. Die Einführung beider Projekte war und ist mit Repräsentations- und Anerkennungsfragen verbunden. Dabei ist die Schaffung von repräsentativen Gremien für Muslim:innen (in Ermangelung einer gemeinsamen Religionsgemeinschaft) ein pragmatischer Kunstgriff des säkularen Staates, der in einem Dilemma steckt: Er braucht religiöse Ansprechpartner:innen, um Gleichheit in Bezug auf die Religionsfreiheit umzusetzen, kann aber – eigentlich – selbst nicht bestimmen, in welcher Form und durch wen Muslim:innen repräsentiert werden.

Die politisch heikle Repräsentationsfrage umgehen der „Islamische Unterricht“ in Bayern und jüngst der „Islamunterricht“ in Hessen. Ohne Mitwirkung der Religionsgemeinschaften soll dieser muslimische Schüler:innen über den Islam unterrichten. Das ist politisch pragmatisch, aber im säkularen Sinne sehr heikel, da jahrelange staatliche „Information“ über Religion natürlich auch etwas mit dem religiösen Selbstverständnis der Schüler:innen macht, welches der Staat ja nicht beeinflussen will/darf. In Hessen spricht man sogar davon, mit dem Unterricht „muslimischen Schülern ein religiöses Angebot zu machen“[1] – der säkulare Staat entscheidet aber nicht darüber, was Religion ist.

Anstaltsseelsorge/Militärseelsorge: Im Gefängnis und im Militär liegt es am Staat, das Recht auf Seelsorge nach Art. 4 Abs. 1 GG zu garantieren. In vielen Gefängnissen arbeiten Personen mit muslimisch-theologischem Hintergrund, jedoch meist nicht als echte Seelsorger:innen, sondern sind für soziale Betreuung, Deradikalisierung und pädagogische Aufgaben etc. zuständig. Sie müssen damit nicht von einer Religionsgemeinschaft autorisiert werden, haben aber auch nicht deren rechtliche Stellung. Ausnahmen finden sich u.a. in Rheinland-Pfalz, Hamburg und Niedersachsen. Bei der Bundeswehr steht die Militärseelsorge zwar schon lange auf dem Plan, aber die Einstellung einer entsprechenden Person scheiterte bisher ebenfalls an Vertretungs- und Nominierungsfragen.
Die Repräsentationsproblematik setzt sich bei Anhörungen sowie bei Expert:innenkommissionen auf Bundes- und Lokalebene fort. Nichts tun ist auch keine Option (mehr), da es hier oft um Bürger:innenrechte geht, die der Staat auch zu schützen hat.

Sicherheit in Bezug auf die Ansprechpartner:innen vermittelt der Status als anerkannte Körperschaft des öffentlichen Rechts (KdöR). Dieser ist jedoch für muslimische Organisationen mit ihren Herkünften, Genesen und Organisationsformen schwer erreichbar und würde naturgemäß auch die fragmentierten Zugehörigkeiten der Muslim:innen replizieren und die angenommene Mehrheit der nicht organisatorisch angebundenen Muslim:innen nicht berücksichtigen. Staatsverträge mit religiösen Zusammenschlüssen wie der Schura e.V. in Hamburg sind niedrigschwelliger. Diese können in Fragen der Seelsorge, des Religionsunterrichts oder in kommunalen Fragen wie z.B. der Bestattung oder in Bezug auf Feiertage als Ansprechpartner:in dienen. Aber auch sie sind politisch umstritten und können die Grundproblematik der fehlenden Repräsentation von Nichtmitgliedern nicht aufheben.

Religiöse Zugehörigkeiten, Nichtzugehörigkeiten und Organisationsformen sind im Wandel. Dem Staat kommt die zentrale Aufgabe zu, auch zukünftig Religionsfreiheit und Religionsausübung an bestimmten Orten zu ermöglichen und Diskriminierung oder Privilegierung zu vermeiden. Der Islam ist hierbei nur ein Puzzleteil im religionspolitischen Feld, illustriert aber ein Dilemma: Ein Übergehen der Muslim:innen in die res mixtae wäre diskriminierend, aber mit jeder islampolitischen ad hoc Lösung greift der Staat selbst ins religiöse Feld ein. Die Provisorien und Notlösungen müssen im religionspolitischen Feld diskutiert werden. Die Tatsache, dass das religiöse Gegenüber bestimmte Bedingungen nicht erfüllt, mag stimmen, muss aber in die Weiterentwicklung des rechtlichen Rahmens einfließen. Statt stets neuen Ausnahmen sollten neue Regeln entstehen.

Dass es hierbei politisch kontrovers zugehen muss, liegt in der Natur der Sache. Gewachsene Selbstverständnisse muslimischer und staatlicher Institutionen werden gleichermaßen hinterfragt und sicherlich sehr unangenehme Fragen adressiert. Wenn alte Modelle nicht funktionieren, dann müssen neue Regeln implementiert werden. Wichtig für beide Seiten ist es zu hinterfragen, wozu das Feld der Religionspolitik da ist – nämlich dazu, die gemeinsamen Felder in Abgrenzung voneinander und in Bezug aufeinander zu gestalten. Diese Verschränkungen fördern das Mitdenken des religiös Partikularen im Rahmen des Gesamtgesellschaftlichen. Dabei ist auch klar, dass es eben nicht nur um den Islam geht, sondern um Religionspolitik insgesamt.

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