Ablösung der Staatsleistungen nur im Konsens zwischen Bund, Ländern und Kirchen

02. 09. 2024

Die Regierungskoalition plant einen erneuten Versuch, die Staatsleistungen an die Kirchen abzulösen. Nach den gescheiterten Bemühungen des letzten Jahres soll bald ein neuer Gesetzentwurf für ein Grundsätzegesetz des Bundes vorgestellt werden. Besonders daran ist die Flexibilität, die den Ländern bei der Ablösung eingeräumt werden soll: Sie sollen jeweils selbst entscheiden können, nach welchen Modalitäten die Ablösung erfolgt. Durch diese Herangehensweise würde allerdings auch die Notwendigkeit einer Zustimmung des Bundesrates, und damit der Länder, umgangen. Kann diese Initiative erfolgreich sein?

Zweiter Anlauf für ein Grundsätzegesetz des Bundes

Die Religionspolitiker der Ampelkoalitionsfraktionen wollen für die Ablösung der „Staatsleistungen“ an die großen christlichen Kirchen nach Medienberichten einen zweiten Anlauf wagen und im Herbst einen Gesetzentwurf für ein „Grundsätzegesetz“ des Bundes präsentieren. Erste Initiativen waren im letzten Jahr nach deutlich ablehnenden Stellungnahmen von Länderseite zum Erliegen gekommen. Das Neue an dieser Initiative für ein Grundsätzegesetz des Bundes ist, dass den Ländern darin der Modus der Ablösung nicht vorgeschrieben werden soll, sondern sie etwa zwischen Geldzahlungen, der Übertragung von Grundstücken, Wald oder von Wertpapieren wählen können sollen. Durch diese offene Gestaltung des Grundsätzegesetzes wollen die Ampelpolitiker verhindern, dass das Gesetz als ein „Zustimmungsgesetz“ die Zustimmung der Länder im Bundesrat braucht.

Historische Entstehung und Rechtslage

Dies gibt Anlass, die historische Entstehung und die Rechtslage in Erinnerung zu rufen: Den Staatsleistungen liegen historisch begründete Leistungsverpflichtungen des Staates zugrunde, die als Ausgleichs- und Kompensationszahlungen für Säkularisierungen (Enteignungen, Rechts- und Vermögensverluste der Kirchen) begründet worden sind. Sie sollen einen Ausgleich für historisches Unrecht leisten (Säkularisationsfolgenrecht). Die Vermögensverluste und Beschlagnahmen von kirchlichem Eigentum liegen weit zurück und gehen auf Ereignisse in der Reformationszeit, dem Westfälischen Frieden von 1648, den Reformen Kaiser Josephs II. und dem Reichsdeputationshauptschluss vom 1803 zurück. Diese Enteignungen sind regelmäßig ohne eine Entschädigung für die praktizierte Enteignung selbst und für die verlorenen Erträge aus dem enteigneten Eigentum erfolgt. Die Staatsleistungen (ca. 550 Mio. im Jahr 2023) leisten einen Ausgleich für diese den Kirchen verloren gegangenen Erträge und stellen keine rechtsstaatliche Entschädigung für die Enteignungen selbst dar. Diese Enteignungsentschädigung hätte angesichts der allein 1803 enteigneten Gebiete von ca. 10 000 km² mit 3,16 Mio. Bewohnern und 21 Mio. Gulden jährlicher Erträge und Einkünfte folglich ganz andere Dimensionen.

Der primäre Ablösungsauftrag des Art. 138 WRV (der über Art. 140 GG vollgültiges Verfassungsrecht ist), ist grundsätzlich an die Länder gerichtet, die die Schuldner dieser Staatsleistungen sind. „Die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften werden durch die Landesgesetzgebung abgelöst. Die Grundsätze hierfür stellt das Reich auf.“ (Art. 138 Abs. 1 WRV). Die Ablösung der Staatsleistungen kann sinnvoll nur in einem zweistufigen Gesetzgebungsprozess verlaufen: zunächst beschließt der Bund ein Grundsätzegesetz und hieran anschließend erlassen die 14 Länder, die Staatsleistungen zahlen (alle außer Hamburg und Bremen), eigene Landesablösegesetze mit den konkreten Modalitäten. 

Der Bund soll nur „Grundsätze“ regeln, ohne selbst Staatsleistungen zu zahlen, um dabei die gesamtstaatliche Sicht einzubringen und im Sinne eines Mittlers oder ehrlichen Maklers in dem Dreieckverhältnis als Neutraler zwischen den Ländern und den Kirchen vermitteln, um die Ablösung nicht in einem konfrontativen Verfahren zu praktizieren. Zudem soll ein Grundsätzegesetz die Ablösungsgrundsätze in einem Ablösungsverfahren nach einheitlichen Maßstäben (Modus der Ablösung, Berechnungsgrundlagen, Zeitdauer etc.) gewährleisten. 

Verfassungsgarantie der Staatsleistungen

Indem der Art. 138 Abs. 1 WRV den Verfassungsauftrag für die Ablösung erteilt, gewährleistet die Vorschrift auch einen Bestandsschutz der bestehenden Staatsleistungen bis zu deren endgültiger Ablösung. Art. 138 Abs. 1 WRV stellt keine Grundlage für Staatsleistungen dar, ordnet allerdings an, dass bereits vor Inkrafttreten des Art. 138 Abs. 1 WRV bestehende, auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhende staatliche Leistungen an die Religionsgemeinschaften bis zur ihrer Ablösung fortbestehen. Ein Ablösen von Staatsleistungen kann daher nur im Rahmen einer konkreten Entschädigungslösung (Neuregelung des finanziellen Verhältnisses zwischen Staat und Kirche) und nicht durch eine schlichte Beendigung der Zahlungen oder wegen eines vermeintlichen Zeitablaufs erfolgen. Eine Ablösung bedeutet also die Aufhebung von Staatsleistungen gegen eine Entschädigung oder Ablösezahlungen; hier wird etwa an Geldzahlungen (Kapitalfonds), der Übertragung von Grundstücken, Wald oder von der Begebung von Staatsanleihen oder Wertpapieren gedacht.

Ländermitwirkung

Die Pläne der Ampelfraktionen, das Grundsätzegesetz als Einspruchsgesetz auszugestalten, das also nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, machen allerdings die Realisierung nur prima facie wahrscheinlicher. Sie sind eine Reaktion auf ablehnende Reaktionen auf Länderseite und sollen aus der Sicht des Bundes diese Widerstände der Länder im Bundesrat ins Leere laufen lassen. Diese Taktik des Bundes stößt aber auf zwei Probleme: Zum einen haben die Länder im Bundesrat auch bei einem Einspruchsgesetz hinreichende Möglichkeiten, das Grundsätzegesetz aufzuhalten und zum anderen sollte der Bund tatsächlich die Argumente der Länder für ihre ablehnende Haltung nicht ignorieren. Denn die Länder haben gute Gründe für ihre Skepsis. Die Ablösung bedeutet für die Länder für eine bestimmte Übergangszeit und die Ablösungszahlungen eine höhere finanzielle Belastung als bisher und hätte finanzpolitische Dimensionen, die die Länder über viele Jahre belasten würden. Wenn die Länder nun argumentieren, dass sie diese höheren Ausgaben und Finanzlasten derzeit angesichts ihrer Schuldenlast, der allgemeinen Wirtschaftslage (Inflation, geringes Wachstum) nicht tragen können, muss man dies respektieren, da es deren Finanzverantwortung betrifft. Es mag möglicherweise auch Länder geben, die es gesellschafts- und kulturpolitisch für richtig halten, die Staatsleistungen als Instrument der Gesellschafts-, Kultur- und Religionspolitik beizubehalten. 

Würde der Bund das Gesetz tatsächlich gegen die Länder durchsetzen können, wäre dies ein unfreundlicher, unkluger und möglicherweise sogar das Prinzip der „Bundestreue“ tangierender Akt. Damit würde massiv in die Kulturhoheit der Länder, aber auch in ihre Finanzhoheit eingegriffen. Zudem ist selbst bei einem Einspruchsgesetz keineswegs sicher, ob die Ampelfraktionen dieses Gesetz gegen die Länder und den Bundesrat durchsetzen können. Einspruchsgesetze müssen im Bundesrat zunächst in den Vermittlungsausschuss übermittelt werden; dort ist zumindest eine ernsthafte Beratung und Kompromisssuche erforderlich. Scheitert diese Kompromisssuche, kann sodann der Bundesrat Einspruch gegen das Gesetz erheben. Falls dieser Einspruch mit qualifizierter Mehrheit (z. B. mit Zweidrittelmehrheit oder sogar einstimmig durch alle Länder) eingelegt wird, kann er zwar vom Bundestag zurückgewiesen werden. Allerdings bedarf es dazu ebenfalls einer qualifizierten Mehrheit, also zumindest der Kanzlermehrheit und ebenfalls der Zweidrittelmehrheit der abgegebenen Stimmen im Bundestag.

Perspektive

Die Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften in Deutschland sind zum einen Kulturträger oder Wertevermittler; zudem sind die christlichen Kirchen auch ein wesentlicher gesellschaftlicher Faktor in der Bildungs-, der Sozial- und der Gesundheitspolitik (Kindergärten, Schulen, Kliniken und Altenheime und Pflegeeinrichtungen). Damit sind die Religionsgemeinschaften ein tragender und wesentlicher Faktor in der Daseinsfürsorge. Sie üben Aufgaben aus, die staatliche Aufgaben sind: Bildung, Gesundheit, Pflege und soziale Fürsorge. Würde man also das Volumen der staatlichen Transfers an die Religionsgemeinschaften senken (oder gar streichen), müsste dies über kurz oder lang zweifellos auch Auswirkungen auf die Finanzierung und Existenz dieser gemeinwohldienenden Einrichtungen haben. Würde der deutsche Bundesstaat also durch weitere Verengung der Finanzlage der Kirchen selbst dazu beitragen, dass diese Leistungen der Daseinsfürsorge von diesen nicht mehr erbracht werden könnte, so müsste der Staat diese Angebote und Leistungen mehr denn je selbst aufbauen und dazu wäre weit mehr Geld notwendig, als die Staatsleistungen ausmachen. Der Verfassungsauftrag des Art. 138 WRV entstammt einer anderen historischen Zeit und Betrachtung des Verhältnisses zwischen Staat und Religionsgemeinschaften. Daher wäre auch ein Nachdenken über diesen Ablösungsauftrag überhaupt und seine zeitliche Adäquanz nicht abwegig.

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