Die Beziehungen zwischen unserem Staat und den verfassten christlichen Kirchen in Deutschland sind in Europa ziemlich einzigartig. Das hat historische Gründe, ist im Grundgesetz verankert und wird in weiten Teilen als selbstverständlich gelebt. Noch.
Die Christen sind in unserer Gesellschaft nicht mehr in der Mehrheit. Die schrumpfenden Kirchen sind mit sich selbst und ihren Strukturen beschäftigt. Bei genauerem Hinsehen sind Kirchensteuer und Staatsleistungen nicht beliebt. Die Missbrauchsdebatte insbesondere in der katholischen Kirche richtet einen großen Vertrauensschaden an. Die öffentliche Stimme der Kirchen ist in der neuen Kommunikationswelt nicht mehr so vernehmbar. Ihre kommunikative Reichweite schrumpft. Bekennende Christen in Regierung, Parlamenten und anderen Spitzenpositionen werden weniger. Bei den Debatten rund um Corona war der Ethikrat öffentlich wichtiger als die Kirchen. Die wichtigsten kritischen Stimmen in der Friedensethik nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine waren nicht die Professoren für Friedensforschung oder die Kirchen, sondern Journalisten, pensionierte Generäle und Schriftsteller und Regisseure.
Alle diese Themen gehen auf Kosten der Kirchen, aber die Kirchen sind dafür nicht alleine verantwortlich. Andere große und stabilisierende Institutionen wie Parteien, Gewerkschaften, Medien, Universitäten oder große Sportverbände haben ähnliche Glaubwürdigkeits- und Akzeptanzprobleme. Aber das ist kein Trost.
Wie wird die Zukunft der Kirchen aussehen? Ich weiß es natürlich auch nicht.
Vielleicht bleibt alles, wie es ist? Sie können das auch die Feuerzangenbowlen-Lösung nennen.
Der Begriff kommt von dem Lehrer in dem berühmten Film mit Heinz Rühmann, der aufgrund einer falschen Baustelleneinrichtung durch die Schüler sagt: „Wir machen nix.“ Das ist die Feuerzangenbowlen-Lösung. Sie ist sehr häufig in der Politik. Und auch in den Kirchen: Die Stürme gehen vorbei, der Zeitgeist zieht vorüber, wir sind 2000 Jahre alt, das ist eine Durststrecke. So hört man es oft. Oder es wird leise so gedacht.
Wenn ich optimistisch bin, würde ich voraussagen, es bleibt alles beim Alten.
Wenn ich pessimistisch bin, sage ich voraus, dass es dauerhafte Hängepartie des Schrumpfens und Anpassens gibt, schlimmstenfalls einen negativen Rutschbahneffekt.
Was ist angesichts dieser Lage mein Rat an die Kirchen?
Die Welt, in der wir jetzt im Verhältnis von Staat und Kirche in Deutschland leben, ist die bestmögliche. Es gibt keine bessere. Jede Veränderung birgt die Gefahr, dass es jedenfalls für die Kirchen schlechter wird. Aber gerade deshalb: nicht den Kopf in den Sand stecken. Nicht ersticken lassen von der Debatte über Schrumpfungsprozesse. Augen auf und Neues entdecken. Nicht mit Veto-Positionen in die Debatten gehen. Das Grundgesetz ist ein wirksamer Schutz für unsere Kirchen. Gott sei Dank. Aber dieser Schutz kann zerbröseln und an faktischer Bedeutung verlieren. Die meisten Prozesse zur Erhaltung eines zu engen Verständnisses der Autonomie der Kirchen – etwa im Arbeitsrecht – werden verloren gehen, spätestens beim Europäischen Gerichtshof, allerdings mit kommunikativen Kollateralschäden zulasten der Kirchen.
Natürlich gibt es die Möglichkeit, nichts zu tun und zu versuchen, die Welt in Deutschland so zu erhalten, wie sie ist. Das wird noch eine Weile gut gehen. Dann kommt aber früher oder später ein Rutschbahneffekt. Ich rate davon ab. Ein Beispiel: Unsere Feiertagskultur ist christlich geprägt. Noch. Neue Feiertage, die es gibt, sind ganz andere und nicht christlich. Berlin hat damit angefangen. Ich glaube nicht, dass es auf Dauer so bleiben wird, dass nicht-christliche Feiertage zusätzlich beschlossen werden, sondern sie werden vielleicht mal getauscht: Pfingstmontag gegen einen anderen nicht christlichen Feiertag. Ich glaube nicht, dass so etwas auf extrem viel Ablehnung der Bevölkerung stoßen würde.
Ich frage mich, ob es nicht einen neuen Ansatz geben muss. Ich bin außerstande, einen solchen neuen Ansatz hier vollständig zu skizzieren. Aber ich rate darüber nachzudenken, ob es vielleicht grundlegendere andere Herangehensweisen geben könnte.
Vielleicht hilft ein Blick ins europäische Ausland, in die Niederlande, nach Österreich, Italien oder Spanien. Ich empfehle, sehr genau zu durchdenken, was das in Deutschland bedeuten würde.
Das Christentum hat eine prägende und befriedende Wirkung auf unser Land und unsere Kultur. Ich wünsche mir, dass das so bleibt.
Es gibt in dieser Lage nur die Möglichkeit, entweder die Decke über den Kopf zu ziehen und zu hoffen, dass es nicht so schlimm wird, oder zu versuchen, einen neuen proaktiven Ansatz zu wählen. Prägend und geradezu weltverändernd ist nicht der christliche Feiertag, die institutionelle Absicherung, die Staatsleistungen, nicht einmal die Kirchensteuer, sondern der Inhalt der christlichen Botschaft. Es gibt nichts Besseres.
Ich plädiere nicht für eine unpolitische Kirche. Im Gegenteil. Zwei Beispiele: Ein Unterschied in der Klimadebatte könnte sein, ob man nur die kommende Katastrophe beschreibt oder ob man als Christ für die Bewahrung der Schöpfung mit dem Geist der Hoffnung streitet, ohne naiv zu sein: Der Regenbogen beendet die Sintflut. Oder: Wenn der Pazifismus an russischer Gewalt politisch gescheitert ist, dann ist es geboten, aktiv eine neue Friedensethik zu entwickeln. Nur zu: Die letzte Friedensdenkschrift der evangelischen Kirche stammt aus dem Jahre 2007.
Oder ein Beispiel für die kirchlichen Strukturen selbst: Vertrauen in neue Ehrenamtsstrukturen statt der Überforderung des Hauptamts ausprobieren; Experimentieren mit neuen Modellen.
Oder: Wenn die Zahl der Kinder für einen konfessionellen Religionsunterricht nicht reicht, dann sofort umstellen auf einen ökumenischen Religionsunterricht. Wenige Beispiele dafür gibt es. Und die Welt ist nicht zusammengebrochen.
Hoffnung verbreiten, nach innen und außen und nicht verzagt auf die Zukunft starren, das ist mein Rat. Ich weiß natürlich auch, das ist leichter gesagt als getan…
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