Das kirchliche Arbeitsrecht – Kirche will Einfluss auf die Identität der Mitarbeitenden behalten

25. 08. 2022

Der Entwurf zur Grundordnung für den kirchlichen Dienst bekennt sich zur Vielfalt, schließt aber alle Positionen aus, die dem christlichen Menschenbild widersprechen. Wenn ein kirchlicher Mitarbeiter Kritik äußert: Was ist berechtigte Kritik und was richtet sich gegen die tragenden Grundsätze der Katholischen Kirche? Wann ist etwas öffentlich und wann privat? Zudem betreffen die Regelungen zum Thema Kirchenaustritt sowohl Angestellte als Ehrenamtliche. Nicht ohne Grund laufen nicht nur die Träger der Caritas Sturm!

Konformität statt christlicher Vitalität

Der Entwurf zur Grundordnung für den kirchlichen Dienst (im Folgenden: GrO-Entwurf[1]) bekennt sich u. a. zur Vielfalt in der pluralen Gesellschaft, der Gleichberechtigung von Frau und Mann, Schutz der Würde und Integrität aller Personen in ihren Einrichtungen, zu einem kooperativen, wertschätzenden Führungsstil, Prävention gegen sexuelle Gewalt, Nachhaltigkeit und einem kommunikativen Führungsverhalten. Ausgeschlossen werden alle Positionen, die dem christlichen Menschenbild widersprechen (vgl. Art. 4 GrO-Entwurf). Unabhängig davon obliegt es auch künftig den jeweiligen Bischöfen bzw. deren Administrationen zu entscheiden, was denn kirchenfeindliches Verhalten bzw. ein öffentliches Eintreten gegen tragende Grundsätze der Katholischen Kirche meint. Besondere Vorsicht ist geboten beim katholischen Markenthema „Abtreibung“. Im Sinne des GrO-Entwurfs könnte gefragt werden, ob z. B. der jüngste Diskussionsbeitrag der ZdK-Vorsitzenden Frau Dr. Irme Stetter-Karp darunterfällt. Sie hat in der ZEIT -Beilage „Christ und Welt“ vom 17. Juli 2022 als Grundlage des gesellschaftlichen Konsenses zum § 218 StGB geschrieben, dass der medizinische Eingriff eines Schwangerschaftsabbruchs flächendeckend zu ermöglichen ist, weil sonst die Grundlage für eine ergebnisoffene Beratung und die Autonomie der Entscheidung einer werdenden Mutter im Sinne des § 218 StGB nicht gewährleistet ist. Die Reaktionen aus eher konservativen Kreisen waren massiv. Handelt es sich hier dann künftig um ein „kirchenfeindliches Verhalten, das nach den konkreten Umständen objektiv geeignet ist, die Glaubwürdigkeit der Kirche zu beeinträchtigen“, dann könnte es durch den zuständigen Diözesanbischof rechtlich nach Art. 7 Abs. 3 GrO-Entwurf geahndet werden. Gemeint sind „Handlungen, die öffentlich wahrnehmbar sind und sich gegen die Kirche oder deren Werteordnung richten.“ Oder handelt es sich um das „öffentliche Eintreten gegen tragende Grundsätze der katholischen Kirche (z. B. die Propagierung der Abtreibung oder von Fremdenhass)“? Oder war es eine Äußerung, die zu deuten ist, als „Propagierung von religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen, die im Widerspruch zu katholischen Glaubensinhalten stehen, während der Arbeitszeit oder im dienstlichen Zusammenhang“?

Aktiv und engagiert – wenn nicht ausgetreten!

Wer denkt, das Beispiel sei schlecht gewählt, da der ZdK-Vorsitz ein Ehrenamt sei, der irrt. Der GrO-Entwurf und somit das kirchliche Arbeitsrecht umfasst künftig nicht nur Angestellte, sondern gilt auch für ehrenamtlich Tätige. Das betrifft die oberste katholische ehrenamtliche Repräsentantin ebenso wie den engagierten Flüchtlingshelfer der Caritas am Hauptbahnhof in Berlin. Dabei führt dies nicht nur zu sprachlich merkwürdig klingenden Wirrungen. Sollte der Caritas-Helfer katholisch sein, „führt der Austritt aus der katholischen Kirche in der Regel zu einer Beendigung des der Beschäftigung zugrunde liegenden Rechtsverhältnisses“ (Art. 7 Abs. 4 GrO-Entwurf). Und wer als Ehrenamtlicher „aus der katholischen Kirche ausgetreten ist, wird nicht angestellt“ (Art. 6 Abs. 5 GrO-Entwurf), braucht sich also gar nicht beim kirchlichen Träger zu engagieren! Katholische Träger müssen künftig wohl nicht nur in Bewerbungsgesprächen, sondern auch mit Ehrenamtlichen erst ein datenschutzrechtlich zweifelhaftes Gespräch über eine (bisherige) katholische Zugehörigkeit und den hoffentlich nicht erfolgten Kirchenaustritt führen. Nicht ohne Grund laufen nicht nur die Träger der Caritas Sturm! Der gerade vom Bundesarbeitsgericht zur Voranfrage an den EuGH gegebene Fall der Kündigung einer Hebamme wegen Austritts aus einer Konfessionskirche dürfte diese Rechtsposition vertiefen. Spätestens dann dürfte der nächste GrO-Entwurf nötig werden.

Fragen Sie vertrauensvoll ihren Bischof!

Muss nun Frau Stetter-Karp gehen? Nach den „Erläuterungen[2] hängt das dann künftig von ihrem zuständigen Diözesanbischof ab, denn er wird im Einzelfall durch Auslegung ermitteln, was unter den tragenden Grundsätzen der Katholischen Kirche zu verstehen ist (vgl. Erläuterungen VIII Abs. 2)! Denn die Propagierung von Abtreibung, aktiver Sterbehilfe, Fremdenhass und Antisemitismus sind Beispiele für nicht tolerierbares Verhalten. Alles Weitere regelt dann wohl der Katechismus als Ausdruck der gültigen Lehre der Katholischen Kirche. Was ist berechtigte Kritik und was richtet sich gegen die tragenden Grundsätze der Katholischen Kirche? Wann ist etwas öffentlich und wann privat? Es würde Bischöfe geben, die manche Äußerung auf dem Synodalen Weg in ihren Diözesen ahnden möchten! Die „Erläuterungen“ öffnen erneut eine willkürliche Waffenkammer der durchzusetzenden Folgsamkeit – natürlich in den Schranken des staatlichen Arbeitsrechts.

Interreligiös zweifelhaft

Es ließen sich weitere zahllose Ungereimtheiten aufzeigen. So ist es erfreulich, dass endlich der Antisemitismus ausdrücklich als nicht zu dulden benannt wird. Problematisch bleibt, wenn ein Übertritt von der Katholischen Kirche lediglich zu den Gliedkirchen der ACK toleriert wird. Wer folglich zum Judentum, der Mutterreligion des Christentums übertritt, muss in der Logik der „Erläuterungen“ gekündigt werden. Das dürfte den Stand des christlich-jüdischen Dialogs kaum widerspiegeln, liegt aber in der Logik der bewussten Trennung der kirchlichen Nabelschnur. Auch in diesem Sinne ist die Androhung der Kündigung für Katholik_innen bei einem Übertritt zu anderen Religionen unabhängig von der Tätigkeit und dem oft fehlenden positiven Zugang zu einer lebendigen Gemeinde der Katholischen Kirche zu undifferenziert. Hier fehlt eine Rezeption von Nostra Aetate, der Erklärung über die Haltung der Kirche zu den nicht christlichen Religionen, des Zweiten Vatikanischen Konzils.

Streik ist nicht unchristlich!

Ebenso inkonsistent ist der Ausschluss des Streikrechts für alle Mitarbeitenden und damit die erneute Absage an einen zukunftsfähigen, konstruktiven Weg mit den Gewerkschaften. Ausgerechnet hier endet die reichhaltige Zitation kirchlicher und päpstlicher Lehrschreiben. Willkommen im deutschen Sonderweg, der sonst gerade den konservativen Bischöfen ein Übel in der beschworenen Einheit der Weltkirche ist. Es war Johannes Paul II. der in der Sozialenzyklika Laborem exercens 1981 (LE) über die Gewerkschaften sagt:

„Gewiss, sie nehmen teil am Kampf für die soziale Gerechtigkeit, für die berechtigten Ansprüche der Arbeitenden in den verschiedenen Berufen. Dieser ‚Kampf‘ muss jedoch als ein normaler Einsatz für ein gerechtes Gut angesehen werden: in diesem Fall für das Wohl, das den Bedürfnissen und Verdiensten der nach Berufen zusammengeschlossenen Arbeitnehmern entspricht. Es ist dies aber kein Kampf gegen andere.“ (LE 20)

Und im Katechismus (Nr. 2435) steht:

„Streik ist sittlich berechtigt, wenn er ein unvermeidliches, ja notwendiges Mittel zu einem angemessenen Nutzen darstellt.“

Streik ist daher für die Katholische Kirche wie die auch im Selbstverständnis der Gewerkschaften immer die Ultima Ratio. Dabei wird Gewalttätigkeit ausgeschlossen und das Gemeinwohl als Maßstab festgelegt. Warum wird im GrO-Entwurf dieses kirchlich legitime Mittel der Mitbestimmung den eigenen Mitarbeitenden vorenthalten. Die bisher gewährte Form der Koalitionsfreiheit behindert den Aufbau einer ernst zu nehmenden Arbeitnehmerorganisation in der Kirche. Erneut wird das systemisch angelegte Machtgefälle des Anstellungsverhältnisses als Dienst spiritualisiert und die Dienstgemeinschaft als penetranter Konsens gleichberechtigter Partner in ungetrübter Harmonie überstrapaziert. In Wahrheit lebt der Dritte Weg von den Tarifabschlüssen des Zweiten Wegs im öffentlichen Dienst, die mit etwas Verzögerung im Copy-und-Paste-Modus übernommen werden. Der Ausschluss des Streiks wie auch das ausgrenzende Verhalten gegenüber den Gewerkschaften, die natürlich bei Streiks auch Notfallpläne zur Versorgung im Sozial- und Gesundheitssystem vorsehen, hat offenbar andere Gründe. Sie gründet wohl eher in dem feinen Gespür, dass mit den Gewerkschaften die bischöfliche Macht hinterfragt, transparent und strukturell eingehegt wird.

Die Gewerkschaften – eine ungenutzte Chance

Fraglos würde die Anwendung des Betriebsverfassungsgesetzes auch finanziell für die katholischen Träger teurer. Sie beendete aber das ekklesiale Kindheitsschema der kirchlichen Sendung der Mitarbeitenden. Was wäre Mitarbeitenden an Diskriminierung in der Katholischen Kirche erspart geblieben, wenn sie sich gewerkschaftlich organisieren könnten? Die gleichberechtigte Zulassung der Gewerkschaften schaffte die Grundlage für einen echten Diskurs um die besten Arbeitnehmer_innenrechte. Dann wird sich unter realen Bedingungen zeigen, ob die christliche Unternehmenskultur als Ausdruck der gemeinsamen kirchlichen Sendung den konsensualen Weg mit entsprechenden Schlichtungsvorgaben lebt. Die Chemieindustrie und die Gewerkschaft IG BCE kommen seit 1971 ohne Streik aus. Bemerkenswert ist die gute Zusammenarbeit kirchlicher Träger und der Gewerkschaften als sozialpolitische Akteur_innen. Gemeinsam sind sie eine starke politische Kraft. Was für ein politisches Zeichen, wenn die Gewerkschaften von den Kirchen als Leuchtturmprojekt sprechen könnten, bei dem Arbeitnehmer_innenrechte, Lohngerechtigkeit und konsensorientierte Tarifpolitik exemplarisch gelebt werden. Was für eine politische Macht für die benachteiligten Berufsgruppen und vom Arbeitsmarkt ausgeschlossenen Personen, wenn diese Tarifpartnerinnen einen vierten Weg kreieren. Es ist an der Zeit, dass die Kirche ihr exklusives Dasein auf dem Arbeitsmarkt aufgibt und in enger Kooperation mit den Gewerkschaften ihre soziale Verantwortung für die Arbeitsbedingungen aller Angestellten wahrnimmt. Theologisch wäre das die Spur des Reich Gottes und es entsteht ein für die gesamte Gesellschaft gewinnendes kirchliches Selbstverständnis mit Strahlkraft. Menschen mit gleichen Zielen solidarisieren sich im Engagement für gerechtere Arbeitsbedingungen und in der Sorge für das Gemeinwohl. Da möchte man(n) und Frau, jeder sozial engagierte Mensch gerne dabei sein. Wovor sollte man dann auch Angst haben.

Was ist das Ziel des kirchlichen Arbeitsrechts?

Der Eindruck täuscht nicht, dass weniger das Verhältnis von Arbeitnehmer_innern und kirchlichem Arbeitgeber rechtlich geregelt werden soll, als vielmehr das Arbeitsrecht erneut zum Steuerungsinstrument der Identifikation mit der Kirche instrumentalisiert wird. Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht beansprucht dann erneut staatlich legitimierte Sanktionierungsmöglichkeiten bis hin zur Kündigung bzw. diskriminierender Nichtanstellung. Das alte Bedrohungssystem kommt mittels der „Erläuterungen der deutschen Bischöfe zum kirchlichen Dienst“ sozusagen durch die Hintertür des hierzu in die Verantwortung genommenen katholischen Trägers wieder hereinspaziert. Die „Zehn Zusagen für Mitarbeitende der Caritas[3] gehen da einen anderen Weg. Sie spiegeln ein großes Vertrauen in die ehrenamtlichen und beruflichen Kolleginnen und Kollegen wider. Sie laden ein, sich mit dem christlichen Auftrag des Trägers auseinanderzusetzen und dessen Werte und Haltungen fachlich umzusetzen. So wollen karitative Träger Menschen für die Idee christlicher Weltgestaltung gewinnen. Dazu ist jede und jeder eingeladen, wenn sie und er, die in einer von christlich Werten geprägten pluralen Gesellschaft erwartbaren Antidiskriminierungsregeln vertritt! So gewinnen sie engagierte und authentische kirchliche Mitarbeitende, die sich dann auch aktiv an der Fortentwicklung des christlichen Selbstverständnisses ihres kirchlichen Trägers beteiligen. Vielleicht fragen die Deutschen Bischöfe diese 790.000 beruflichen und ebenso viele ehrenamtlichen Mitarbeitenden, ob sie ein spezifisches kirchliches Arbeitsrecht benötigen?

Dies ist ein Beitrag einer dreiteiligen Reihe.

Lesen Sie auch den ersten Teil

Hier geht es zum zweiten Teil

Fußnoten

Fußnoten
1 Entwurf der neuen Grundordnung für den kirchlichen Dienst (Stand 06.05.2022), unter: https://www.dbk.de/fileadmin/redaktion/diverse_downloads/presse_2022/2022-086a-Grundordnung-des-kirchlichen-Dienstes-Entwurfsfassung-vom-06.05.2022.pdf, (abgerufen am 4.8.2022).
2 Entwurf der Bischöflichen Erläuterungen zum kirchlichen Dienst (Stand 27.05.2022), unter: https://www.dbk.de/fileadmin/redaktion/diverse_downloads/presse_2022/2022-086b-Bischoefliche-Erlaeuterungen-zum-kirchlichen-Dienst-Entwurfsfassung-vom-27.05.2022.pdf (abgerufen am 4.8.2022).
3 Caritas Deutschland: Zehn Zusagen für Mitarbeitende in der Caritas, unter: https://www.caritas.de/fuerprofis/arbeitenbeidercaritas/arbeitgebercaritas/zehn-zusagen-an-mitarbeitende (abgerufen am 27.7.2022).

Kommentare

Dieser Beitrag hat keine Kommentare.

Schreiben Sie einen Kommentar

Sie können gern den Beitrag kommentieren. Ihnen stehen maximal 600 Zeichen zur Verfügung. Die EIR-Redaktion behält sich die Veröffentlichung vor.