Die Reform bleibt hinter dem zurück, was möglich und auch erforderlich gewesen wäre. Die Kritik betrifft insbesondere den Bereich des Individualarbeitsrechts, spezifisch die Bewertung des Kirchenaustritts. Die Grundordnung verbleibt in einer Sanktionslogik verhaftet, die dem avisierten Ziel eines neuen, gewinnenden und einladenden Narrativs des Christlichen nicht förderlich ist.
Es gibt gute Gründe, die Novellierung der „Grundordnung des kirchlichen Dienstes“ (Grundordnung)[1] als Paradigmenwechsel zu bezeichnen und ihre – in weiten Teilen gelungene – Lösung von der als „Misstrauensordnung“ zu charakterisierenden Vorgängerin aus dem Jahr 2015 in den Vordergrund zu stellen.[2] Bereits der Entstehungsprozess der neuen Grundordnung ist positiv hervorzuheben. Neben wissenschaftlichen Symposien, auf denen der Entwurf diskutiert wurde,[3] bestand erstmals die Möglichkeit, im Rahmen eines Beteiligungsverfahrens zum vorgelegten Entwurf Stellung zu nehmen. Hiervon haben verschiedene Gremien und Rechtsträger auch rege Gebrauch gemacht und manch Formulierungsvorschlag fand auch tatsächlich Eingang in die finale Fassung der Grundordnung.[4] Dennoch bleibt Handlungsbedarf, insbesondere was den Bereich der Forderung nach einer Kirchenzugehörigkeit betrifft.
Revolutionär ist zunächst die Streichung des Begriffs der Loyalitätsobliegenheiten im Individualarbeitsrechtlichen Teil der Grundordnung. Der Blick auf die mit ihm verbundenen gesellschaftlichen wie innerkirchlichen Kontroversen macht deutlich, dass der kirchliche Ordnungsgeber die insoweit geäußerte Kritik wahr- und ernstgenommen hat. So stand eine Streichung des Loyalitätsbegriffs noch bei der letzten großen Reform der Grundordnung im Jahr 2015 überhaupt nicht zur Debatte. Vielmehr wurde zum Beispiel der Umstand, dass eine Wiederheirat in der Regel nur dann als schwerwiegender Loyalitätsverstoß zu ahnden war, wenn diese gleichsam zu einem „scandalum“ in der Dienstgemeinschaft führte, bereits als großer Schritt gewertet. Der Verzicht auf die Verwendung des Begriffs „Loyalität“ verdeutlicht indes, dass der Ordnungsgeber sich von der negativen – da überwiegend als drohend empfundenen – Konnotation lösen wollte. Auf dem Weg zu einer wertschätzenden Zusammenarbeit aller Akteure in der Dienstgemeinschaft stellt dies einen wesentlichen Schritt dar, dessen Bedeutung z. B. für die Personalgewinnung und -bindung elementar ist.
Und dennoch bleibt die Reform hinter dem zurück, was möglich und auch erforderlich gewesen wäre. Die Kritik betrifft insbesondere den Bereich des Individualarbeitsrechts, spezifisch die Bewertung des Kirchenaustritts. Der eigentliche Paradigmenwechsel, der letztlich auch eine Reform der kirchlichen Vorgaben erforderlich machte, wurde durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) initiiert. Dieser hatte anno 2018 judiziert, dass die Abstufung von Loyalitätsanforderungen nach Konfession einen objektiven Zusammenhang zur ausgeübten Tätigkeit erfordert. Damit hat das Gericht ein neues Abwägungskonzept vorgegeben, welches den Diskriminierungsschutz im kirchlichen Arbeitsverhältnis stärkt und die Begründung von kirchlichen Sonderrechten nur dann ermöglicht, wenn ein tatsächlicher, kohärenter und systematischer Bezug zum Ethos der Kirche besteht.[5] Einem allumfänglichen „Transzendenzschutz“[6] der Kirchen, einhergehend mit der Option zur Forderung einer pauschalen Religionszugehörigkeit für alle Arbeitsplätze beim Arbeitgeber Kirche, erteilte das Unionsrecht damit eine klare Absage. Aktuell ist die Frage, ob es nach den Maßstäben des europäischen Antidiskriminierungsrechts künftig geboten ist, auch dem bislang konfessionsangehörigen Arbeitnehmer einen sanktionslosen Kirchenaustritt zu ermöglichen, beim EuGH anhängig.[7] Es wäre daher für den kirchlichen Ordnungsgeber ratsam gewesen, hier eine differenzierte Lösung zu finden. Nicht nur, weil sich der Spruch aus Luxemburg erahnen lässt, sondern auch, weil sich damit die Realität insbesondere in den Einrichtungen der Caritas, die zahlenmäßig Hauptadressaten der Grundordnung sind, viel treffender abbilden lässt.
Konkret geht es bei der Thematik der Kirchenmitgliedschaft und des Kirchenaustritts um Art. 6 Abs. 3 bis 5 GrO, der die Frage der Einstellung betrifft, sowie Art. 7 Abs. 4 GrO, der die Beendigung des Dienstverhältnisses regelt. Hier weicht der nun verabschiedete Text der Grundordnung – trotz vorgebrachter konstruktiver Änderungsvorschläge – nur ganz gering von jener der Entwurfsfassung vom 6.5.2022 ab. Einzig erfreulich ist in diesem Kontext, dass kirchenfeindliche Betätigung und Kirchenaustritt in Art. 6 Abs. 5 GrO in unterschiedlichen Sätzen stehen und so zumindest formal keine Gleichstellung erfolgt. Und dennoch wird der Kirchenaustritt als kirchenfeindlicher Akt gewertet, da Personen, die aus der katholischen Kirche ausgetreten sind, nicht eingestellt werden (Art. 6 Abs. 5 S. 2 GrO) und jene, die im laufenden Arbeitsverhältnis austreten, in der Regel mit einer Kündigung rechnen müssen (Art. 7 Abs. 4 GrO). Gemäß Art. 7 Abs. 4 S. 2 GrO kann von einer Sanktionierung des Kirchenaustritts bzw. der Postulierung eines Einstellungshindernisses (Art. 6 Abs. 5 S. 3 GrO) abgesehen werden, wenn schwerwiegende Gründe des Einzelfalls eine Beendigung des Dienstverhältnisses als unangemessen erscheinen lassen. Was der Ordnungsgeber hierunter verstanden wissen will, beschreibt er in den begleitenden Erläuterungen: So sei ein schwerwiegender Grund etwa dann anzuerkennen, wenn der katholische Mitarbeitende selbst als Betroffener insbesondere sexuellen Missbrauchs an ihrer Kirche leiden.[8] Quis iudicabit? Zudem findet sich die im Entwurf noch enthaltene Ausnahme, dass ein Übertritt in eine Mitgliedskirche der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland (ACK) erfolgt, in der Endfassung nicht wieder.
Die Grundordnung verbleibt damit in einer Sanktionslogik verhaftet, die dem avisierten Ziel eines neuen, gewinnenden und einladenden Narrativs des Christlichen nicht förderlich ist. Die zwingende Kongruenz von Person und Institution übersieht, dass eine solche zwar wünschenswert ist, jedoch auf freiwilliger Basis erfolgen muss. Kirchenmitgliedschaft darf nicht einseitig von der Institution erwartet werden, sondern muss von den Mitarbeitenden ausgehen. Auch verwirklicht die nahezu pauschale Forderung der Kirchenmitgliedschaft nicht die seitens des EuGH geforderte Differenzierung nach Art der Tätigkeit und bleibt damit hinter den klaren Anforderungen des Europarechts zurück. Nachvollziehbar ist dagegen, dass für pastoral oder katechetisch tätige Mitarbeitende sowie jene, die die christliche Unternehmenskultur prägen[9], eine Zugehörigkeit zur katholischen Kirche wesentlich ist. Die Praxis zeigt aber, dass das Gros der Mitarbeitenden insbesondere in den Einrichtungen und Diensten der Caritas, in denen das gemeinsame Engagement für die Würde des Menschen die Basis bildet, wertvolle Arbeit im Sinne Jesu Botschaft leisten. Maßstab dafür, dass sich das Evangelium z. B. im Pflegeheim oder bei der Arbeit mit Menschen mit Behinderungen ganz konkret ereignet, ist dann aber das Handeln des einzelnen Mitarbeitenden, nicht eine undifferenzierte Mitgliedschaftslogik. Es geht um das Zeugnis der Menschen, der im kirchlichen Dienst stehen, unabhängig von jedweder Zugehörigkeit. Denn, dass Menschen in ihren unterschiedlichen Zugehörigkeiten Zeugen und Zeuginnen der Liebe Gottes sein können, steht – auch für den Ordnungsgeber[10] – außer Frage. Die Kirchlichkeit einer Einrichtung manifestiert sich dann nicht als Anforderung an die Biografie ihrer Mitarbeitenden, sondern ist als Auftrag an die Institution zu verstehen (institutionenbezogenes Identitätsverständnis).
Zugegeben – eine solch radikale Freigabe der Biografie kirchlicher Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen wäre ein mutiger Schritt gewesen, den der Ordnungsgeber zum jetzigen Zeitpunkt offensichtlich noch nicht gehen wollte. Möglicherweise wird der EuGH ihm hierbei erneut die Richtung weisen. Allemal gilt: Nach der Reform ist vor der Reform.
Fußnoten
↑1 | Grundordnung des kirchlichen Dienstes in der Fassung des Beschlusses der Vollversammlung des Verbandes der Diözesen Deutschlands vom 22.11.2022, abrufbar unter: https://www.dbk.de/fileadmin/redaktion/diverse_downloads/VDD-Arbeitsrecht/Grundordnung-des-kirchlichen-Dienstes-22.-November-2022.pdf (zuletzt am 28.11.2022). |
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↑2 | Vgl. Reichold, ZAT 2022, 145. |
↑3 | Z. B. auf den Fünften Hirschberger Gesprächen zur Fortentwicklung des Dritten Weges am 30./31.5.2022 unter dem Titel „Loyalität auf Gegenseitigkeit – Neue Regeln im Arbeitsrecht der katholischen Kirche“ oder auf dem 10. Symposion der Forschungsstelle für Kirchliches Arbeitsrecht der Universität Tübingen am 30.9.2022 unter dem Titel „Ein neues Narrativ im kirchlichen Arbeitsrecht? Aktuelle Rechtsfragen der neuen Grundordnung (Tagungsband erscheint demnächst); zu erwähnen ist hier auch das Online-Forum zur Reform der Grundordnung, initiiert vom DiCV Köln, abrufbar unter: https://kirchliche-grundordnung.de/ (zuletzt am 28.11.2022). |
↑4 | Z. B. die Beschränkung auf ehrenamtlich Tätige, die Organmitglieder sind, vgl. Art. 1 Abs. 3 lit. f) GrO oder die Regelung zur Evaluation in Art. 12 GrO. |
↑5 | Vgl. EuGH Urt. v. 17.4.2018 – C-414/16, NZA 2018, 569 („Egenberger“) sowie EuGH Urt. v. 11.9.2018 – C-68/17, NJW 2018, 3086 („IR“). |
↑6 | Vgl. hierzu z. B. Reichold (Hrsg.), Tendenz- statt Transzendenzschutz in der Dienstgemeinschaft?, 2019, S. 9; Weller, in: Reichold (Hrsg.), Welche Loyalität brauchen kirchliche Einrichtungen?, 2021, S. 51 (53). |
↑7 | Vorlagebeschluss des BAG vom 21.7.2022 – 2 AZR 130/21 (A); vgl. auch Thüsing/Biesenbach, ZAT 2022, 81. |
↑8 | Vgl. Bischöfliche Erläuterungen zum kirchlichen Dienst in der Fassung des Beschlusses der Vollversammlung des Verbandes der Diözesen Deutschlands vom 22.11.2022, VIII Nr. 5, S. 13, abrufbar unter: https://www.dbk.de/fileadmin/redaktion/diverse_downloads/VDD-Arbeitsrecht/Bischoefliche-Erlaeuterungen-zur-Grundordnung-des-kirchlichen-Dienstes-22.-November-2022.pdf (zuletzt am 28.11.2022). |
↑9 | Sog. Kulturträger und Kulturträgerinnen, vgl. die Formulierung in Art. 6 Abs. 4 S. 1 GrO, wobei leitende Mitarbeitende oder Führungskräfte nicht automatisch darunter fallen. |
↑10 | Vgl. die Formulierung in den Erläuterungen IV Nr. 4, S. 6 f.: „Alle Mitarbeitenden können und sollen unabhängig von ihren konkreten Aufgaben, ihrer Herkunft, ihrer Religion, ihres Geschlechts, ihrer sexuellen Identität und ihrer Lebensform Repräsentantinnen und Repräsentanten der unbedingten Liebe Gottes und damit einer den Menschen dienenden Kirche sein.“. |
Wolf Sieberichs
Verfasst am 22.12.2022 um 11:47 UhrGut, dass mal jemand diese Problematik des Kirchenaustritts in der neuen Grundordnung beleuchtet, und aus meiner Sicht auch weitgehend zustimmungsfähig.
Aber trotzdem muss ich anmerken: Den EuGH und den EGMR nicht auseinanderhalten zu können, ist der juristischen Glaubwürdigkeit nun wirklich nicht zuträglich. Selbstverständlich wird der Spruch in der Rechtssache C-630/22 (der Vorlagefrage des Bundesarbeitsgerichts) nicht aus Straßburg kommen, sondern aus Luxemburg.
EIR-Redaktion
Verfasst am 05.01.2023 um 16:38 UhrVielen Dank für Ihren Hinweis, wir haben ihn aufgenommen.