Frankreichs Sonderweg beim Kopftuch. Religionspolitische Fragen im Rahmen der Olympischen Spiele 2024

29. 07. 2024
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Die französische Leichtathletin Sounkamba Sylla schreibt auf Instagram: „Du bist für die Olympischen Spiele nominiert, die in deinem Land stattfinden, aber du kannst nicht an der Eröffnungsfeier teilnehmen, weil du ein Kopftuch trägst.“ Dass Frankreich Gastgeber der diesjährigen Olympischen Spiele sein darf, könnte eine einende Kraft in der Gesellschaft sein. Stattdessen wird einmal mehr um das Kopftuch gestritten; und die Gräben werden tiefer, denn das Nationale Olympische Komitee Frankreichs verbietet der Athletin, das Kopftuch während der Wettkämpfe zu tragen.

Der französische Laizismus

Das Verhältnis von Religion und Staat ist in Frankreich anders geregelt als in Deutschland. In beiden Ländern sind Religion und Staat zwar strikt voneinander zu trennen. Anders als in Deutschland sind im französischen Laizismus aber keine Kooperationsbeziehungen zwischen staatlichen Einrichtungen und Religionsgemeinschaften vorgesehen. Auch sind dort weder Religionsvertreterinnen und -vertreter in den Rundfunkräten vertreten, noch dürfen sie Religionsunterricht an staatlichen Schulen koordinieren. Staatliche Neutralität im französischen Sinne bedeutet, religiöse Bezüge aus dem öffentlichen Raum fernzuhalten. Die negative Religionsfreiheit – dies beinhaltet, dass niemand zu einem religiösen Bekenntnis gedrängt und niemand durch die Religionsausübung anderer benachteiligt werden darf – wird gegenüber der positiven Religionsfreiheit – die Freiheit, seinen Glauben frei und auch öffentlich, auszuleben – deutlich stärker betont. Seit die muslimische Bevölkerung in Frankreich stärker in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird, etwa aufgrund der Zunahme islamistisch motivierter Vorfälle und Anschläge, finden hitzige Diskussionen über religiöse Symbole im öffentlichen Raum statt. Im Jahr 2004 wurde das Tragen religiöser Symbole an öffentlichen Schulen verboten – nach langen kontroversen Debatten um das Kopftuch muslimischer Schülerinnen.

Religiöse Symbole bei den Olympischen Spielen

Im Kontext der Olympischen Spiele argumentiert Frankreich, dass die französischen Sportlerinnen und Sportler nicht als Privatpersonen anträten, sondern ihr Land repräsentieren würden. Damit kämen sie französischen Beamtinnen und Beamten gleich. Deshalb sei ein Kopftuch nicht gestattet. Dies führt zu der Situation, dass Sportlerinnen anderer Länder mit Kopftuch antreten können – französische Athletinnen jedoch nicht. Streng genommen verstößt dies gegen das Diskriminierungsverbot der Olympischen Charta. Das Internationale Olympische Komitee verweist zwar darauf, dass Sport ein Menschenrecht sei und es den Sportlerinnen freistehe, im Olympischen Dorf ein Kopftuch zu tragen. Für die Wettkämpfe seien aber die Regelungen der internationalen Sportfachverbände bindend, bei denen auch nationale Besonderheiten berücksichtigt würden. In manchen Sportarten wurden Kopftuchverbote bereits vom jeweiligen Sportfachverband aufgehoben, beispielsweise beim Weltfußballverband FIFA im Jahr 2014. Im Jahr 2019 änderte auch der Weltboxverband seine Regeln auf Druck der deutschen Boxerin Zeina Nassar. Seitdem dürfen Frauen mit Kopftuch weltweit an Boxwettkämpfen teilnehmen. Diese zunehmende Öffnung des internationalen Sports hat in Frankreich eine Gegenbewegung ausgelöst. Manche nationalen Sportverbände verbieten das Kopftuch nun explizit. Der französische Verfassungsrat hat die Angemessenheit dieses Vorgehens im letzten Jahr rechtlich bestätigt.

Sichtbarkeit von Religion als Teil gelebter Vielfalt

Staatliche Neutralität nach deutschem Verständnis bedeutet, dass der Staat gleichen Abstand zu allen Religionen und Weltanschauungen hält. Diese Neutralität muss in einer pluralistischen Gesellschaft immer wieder neu ausgelotet werden – und darf nicht zu Diskriminierung von einzelnen Bevölkerungsgruppen führen. In Deutschland wird ebenfalls seit Jahrzehnten gerichtlich um das Tragen des Kopftuchs gestritten. Die Urteile sind in vielen Fällen – zumindest im privatrechtlichen Bereich – zugunsten der Klägerinnen ausgefallen. Damit sind pauschale Kopftuchverbote hierzulande unzulässig. Selbst staatlich bediensteten Lehrkräften darf heute in Deutschland das Kopftuch nicht pauschal untersagt werden. Auch im Sport geht Deutschland einen anderen Weg als Frankreich: So bestätigte der Deutsche Olympische Sportbund, dass die Wahl der Kleidungsstücke Teil der Menschenrechte sei. Und dazu gehöre auch das Kopftuch. Bis dahin war es ein langer Prozess, der auch noch nicht abgeschlossen ist. Letztlich werden mit diesen Urteilen auch Fragen der Zugehörigkeit und Anerkennung verhandelt. Die Olympischen Spiele sind ein wichtiger Raum, der das Potenzial hat, Teilhabe zu ermöglichen und damit Zugehörigkeit und Zusammenhalt zu stiften. Die Frage des Kopftuchs steht auch in Frankreich als Symbol für den Umgang mit Vielfalt und es bleibt eine wichtige Aufgabe, sich auf einen Weg zu einigen, der für alle Beteiligten akzeptabel ist. Für die aktuellen Olympischen Spiele wurde zunächst eine pragmatische Lösung gefunden: Die Sprinterin Sounkamba Sylla darf nun mit Kappe antreten.

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