Kirchenaustritt – Jetzt auch online?

31. 03. 2022

Mit den aktuell hohen Kirchenaustrittszahlen stoßen Behörden vielerorts an ihre Kapazitätsgrenzen. Abhilfe möchten nun Berlin und Hamburg schaffen: Hier soll ein Kirchenaustritt künftig auch online ermöglicht werden. Auch auf Bundesebene gibt es bereits erste Modernisierungsbestrebungen. Durch die Erfüllung der 2017 durch das Onlinezugangsgesetz (OZG) auferlegten Verpflichtungen soll Bürgerinnen und Bürgern ein flächendeckender Onlinezugang zu bestimmten Verwaltungsleistungen mittels elektronischer Verwaltungsportale gewährt werden. Ein digitaler Kirchenauftritt hätte jedoch weitreichende Konsequenzen.

Bereits seit Jahren ist aus unterschiedlichen Gründen eine steigende Nachfrage von Austritten aus der katholischen und evangelischen Kirche zu verzeichnen.[1] Die jüngsten Missbrauchsvorwürfe sind dabei für viele Kirchenzugehörige nur der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Der Andrang auf die staatlichen Behörden ist entsprechend groß – vielerorts sind die dafür vorgesehenen Termine nahezu ausgebucht.[2] Denn bislang kann man den eigenen Kirchenaustritt nur – je nach Bundesland – entweder am Amtsgericht, im Bürger- oder Standesamt selbst erklären. Eine Ausnahme ist Bremen. Dort kann der Kirchenaustritt auch in der Kirche erklärt werden. Ein persönliches Erscheinen ist, sofern keine entsprechende, notariell beglaubigte Erklärung vorliegt, zwingend. Die Möglichkeit, die Zugehörigkeit in der Kirche mit wenigen Klicks über das Internet zu beenden, gibt es bisher nicht.

Genau das möchte Berlin nun ändern. Im aktuellen Koalitionsvertrag der rot-grün-roten Regierung heißt es dazu auf Seite 133 knapp: „Die Koalition ändert das Kirchenaustrittsgesetz, um Austritte im Online-Verfahren zu ermöglichen.“ Derzeit ist nach § 1 Abs. 1 Kirchenaustrittsgesetz Berlin der Austritt aus einer Religionsgemeinschaft des öffentlichen Rechts beim Amtsgericht zu erklären. Durch eine entsprechende Änderung des Gesetzes soll Berlinerinnen und Berlinern die Möglichkeit eröffnet werden, einen Kirchenaustritt künftig auch ohne Gerichtstermin ausschließlich online vorzunehmen.

Konkrete Pläne zur rechtlichen wie praktischen Umsetzung, etwa der Aufbau entsprechender technischer Infrastruktur, sind bisher allerdings noch nicht bekannt.

Diese Berliner Idee wurde inzwischen auch schon von einem anderen Bundesland aufgegriffen: Die Hamburger Verwaltung ließ jüngst verkünden, dass die Umsetzung eines digitalen Austrittsverfahrens bereits in Prüfung sei.[3]

Neben den Berliner und Hamburger Vorstößen ist aber auch bundesweit die Tendenz zu einer Digitalisierung des Kirchenaustritts zu erkennen. Durch die Erfüllung der 2017 durch das Onlinezugangsgesetz (OZG) auferlegten Verpflichtungen soll Bürgerinnen und Bürgern ein flächendeckender Onlinezugang zu bestimmten Verwaltungsleistungen mittels elektronischer Verwaltungsportale gewährt werden. Davon erfasst ist grundsätzlich auch der Austritt aus der Kirche. [4] Nach den Vorschlägen des Projektsteckbriefs „Kirchenaustritt“ soll dessen Implementierung als OZG-Leistung perspektivisch zur Bereitstellung eines Online-Formulars führen, durch das ein Antrag auf den Kirchenaustritt gestellt und im Anschluss daran die Ausstellung einer digitalen Austrittsbescheinigung erfolgen kann.[5] Ungeachtet des „Einer für Alle“-Prinzips soll die Möglichkeit der individuellen Anpassung an die unterschiedlichen Ländererfordernisse gewährleistet werden.

Trotz dieses Bestrebens ist gegenwärtig nicht absehbar, ab wann ein bundesweiter Kirchenaustritt über das Internet auch tatsächlich möglich sein wird. In Anbetracht des massiven Verzugs bei der Umsetzung des gesamten Digitalisierungsprojekts[6] und der derzeit niedrigen Priorisierung durch das hierbei federführende Bundesland Nordrhein-Westfalen[7] scheint es wahrscheinlich, dass die Einführung dieser OZG-Leistung noch länger auf sich warten lassen dürfte. Auch hier bedürfte es aber, wie im Falle Berlins, zunächst der Änderung der entsprechenden Kirchenaustrittsgesetze der Länder.

Auch wenn die konkrete Realisierung des Projekts noch ungewiss ist, so ist dennoch davon auszugehen, dass es in absehbarer Zeit auch beim Kirchenaustritt als Verwaltungsleistung zu einer Digitalisierung kommen wird. Daher stellt sich bereits jetzt die Frage, welche Auswirkungen die Einführung einer solchen Möglichkeit überhaupt hätte. Ein Austritt aus der Kirche hat schließlich weitreichende Konsequenzen: Es entfällt fortan nicht nur die Kirchensteuer, sondern potentiell auch die Möglichkeit der Übernahme von Patenschaften und die Inanspruchnahme einer kirchlichen Beerdigung – die Empfängnis kirchlicher Sakramente der katholischen Kirche ist sogar ausdrücklich ausgeschlossen.[8] Arbeitet die ausgetretene Person in einer kirchlichen Einrichtung, können sich darüber hinaus auch arbeitsrechtliche Konsequenzen ergeben.[9] Kann die Möglichkeit eines digitalen Kirchenaustritts der Tragweite dieser Entscheidung überhaupt gerecht werden? Ergeben sich dadurch womöglich auch Vorteile?

Eine Vereinfachung des Austrittsprozesses durch die Digitalisierung könnte möglicherweise dazu führen, dass sich Personen übereilt für einen Austritt aus der Kirche entscheiden, ohne sich über die Folgen des Austritts wirklich bewusst zu sein. Schließlich ermöglicht der Zeitraum zwischen der in der Regel erforderlichen Terminvereinbarung und dem tatsächlichen Kirchenaustritt ein mehrmaliges Überdenken der Entscheidung; das Erfordernis des persönlichen Erscheinens fungiert zudem als weitere Hemmschwelle. Der Kirchenaustritt selbst erfolgt aber ohne Belehrung über die Austrittsfolgen durch das anwesende Behördenpersonal und ohne Angabe von Gründen. Die Abwicklung über ein Verwaltungsportal würde ähnlich ablaufen. Auch dort müsste zur Wahrung der negativen Religionsfreiheit etwa auf die Einblendung einer Übersicht, die der austrittswilligen Person die Auswirkungen ihres Kirchenaustritts aufzeigt, verzichtet werden.

Das Erfordernis des persönlichen Erscheinens und der Terminvereinbarung an sich dürfte nur wenige davon abhalten, trotz entsprechenden Wunsches nicht aus der Kirche auszutreten. Vielmehr ist es wohl auf die unzureichenden Verwaltungskapazitäten zurückzuführen, dass die Zahlen der Kirchenaustritte seit Langem ein konstantes Niveau aufweisen – die Anzahl der jährlichen Austritte sollte daher nicht als prozentuale Abbildung der Abnahme von Religiosität in der deutschen Bevölkerung verstanden werden. Bei einer Digitalisierung des Kirchenaustritts ist zwar anzunehmen, dass es zunächst kurzzeitig zu einem sprunghaften Anstieg an Kirchenaustritten kommen würde – so auch bei der „Church of Norway“, die seit 2016 den digitalen Kirchenaustritt ermöglicht.[10] Allerdings wird es sich dabei größtenteils um Personen handeln, die bereits zuvor den Entschluss gefasst hatten, die Kirche zu verlassen und bisher aus unterschiedlichen Gründen faktisch gehindert waren, ihren Kirchenaustritt auch tatsächlich zu erklären und weniger um solche, die nur aufgrund der plötzlich vorhandenen digitalen Möglichkeit aus der Kirche austreten wollen. Sobald der „Rückstau an Kirchenaustritten“ abgebaut wurde, ist eher zu erwarten, dass die Anzahl der Austritte aus der Kirche über das bisherige Niveau hinaus abfallen wird.[11] Dadurch würde es auch möglich werden, belastbarere Aussagen über die Entwicklung der Kirchenzugehörigkeit in Deutschland zu treffen.

Es bleibt letztlich abzuwarten, wie sich das Vorhaben „digitaler Kirchenaustritt“ rechtlich und praktisch entwickeln wird. Fest steht jedoch, dass sich gerade im Hinblick auf die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes die deutschen Kirchen im bestehenden Kooperationsmodell langfristig nicht der Verwaltungsmodernisierung verschließen können. Um einen weiteren Rückgang der Kirchenzugehörigkeit durch die Digitalisierung zu verhindern bedarf es daher vielmehr neuer Ansätze zur Mitgliedergewinnung und -haltung[12] – oder aber einer vollständigen (Rück-)Übertragung der einschlägigen administrativen Kompetenzen auf die Kirchen.

Fußnoten

Fußnoten
1 Vgl. Statista Research Department (2022): Anzahl der Kirchenaustritte in Deutschland nach Konfessionen von 1992 bis 2020, 24.01.2022, unter: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/4052/umfrage/kirchenaustritte-in-deutschland-nach-konfessionen/ (abgerufen am 30.03.2022).
2 Vgl. Südwestrundfunk (2022): Kirchenaustritte haben sich in BW an einigen Orten verdoppelt, swr.de am 04.02.2022, unter: https://www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/zahl-der-kirchenaustritte-in-baden-wuerttemberg-steigt-100.html (abgerufen am 30.03.2022).
3 Vgl. Hasse, Edgar S. (2022): Können Hamburger bald online aus der Kirche austreten?, Hamburger Abendblatt am 16.02.2022, unter: https://www.abendblatt.de/hamburg/article234582669/kirche-austreten-hamburg-termin-online-standesamt-notar-pruefung.html (abgerufen am 30.03.2022).
4 Vgl. BMI (o. D.): OZG-Informationsplattform. Kirchenaustritt, unter: https://informationsplattform.ozg-umsetzung.de/iNG/app/detail?id=103533&nav=RegKO_RO&tb=projectdetails&pager (abgerufen am 30.03.2022).
5 Vgl. BMI (2019): Projektsteckbrief: Kirchenaustritt, unter: http://agile.ozg-umsetzung.de/eh/Steckbriefe/Kirchenaustritt_Steckbrief_PDF_20191204.pdf (abgerufen am 30.03.2022), S. 1.
6 Vgl. Nationaler Normenkontrollrat (2021): Monitor Digitale Verwaltung #6, unter: https://www.normenkontrollrat.bund.de/resource/blob/72494/1958282/70fdb29d2a322a1e6731e9d92a132162/210908-monitor-6-data.pdf (abgerufen am 30.03.2022), S. 2.
7 Vgl. Dachverband der kommunalen IT-Dienstleister (o. D.): OZG-Leistung: Kirchenaustritt (OZG-ID: 10135), unter: https://ozg.kdn.de/ozg-leistungen/details/kirchenaustritt-10135 (abgerufen am 30.03.2022).
8 Vgl. Deutsche Bischofskonferenz (2012): Allgemeines Dekret der Deutschen Bischofskonferenz zum Kirchenaustritt, unter: https://www.dbk.de/fileadmin/redaktion/diverse_downloads/presse/2012-145a-Allgemeines-Dekret-Kirchenaustritt_Dekret.pdf (abgerufen am 30.03.2022); Evangelische Kirche im Rheinland (o. D.): Kirchenaustritt: Fragen und Antworten, unter: https://www2.ekir.de/inhalt/kirchenaustritt-fragen-und-antworten/ (abgerufen am 30.03.2022).
9 Vgl. BVerfGE 70, 138; BAGE 145, 90; Verband der Diözesen Deutschlands (2015): Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse, unter: https://www.dbk.de/fileadmin/redaktion/diverse_downloads/VDD/Grundordnung_GO-30-04-2015_final.pdf (abgerufen am 30.03.2022).
10 Vgl. Osborne, Samuel (2016): Norway’s biggest church loses more than 25,000 members after new online system makes it easier to leave, Independent am 02.09.2016, unter: https://www.independent.co.uk/news/world/europe/norway-state-church-online-registration-system-deregister-members-leave-quit-a7221331.html (abgerufen am 30.03.2022).
11 So auch in Norwegen geschehen, wo seit 2017 – mit Ausnahme des Jahres 2019 – eine sinkende Tendenz von Kirchenaustritten zu beobachten ist, vgl. Statistics Norway (o. D.): Church of Norway, members, church ceremonies and services, by contents and year, unter: https://www.ssb.no/en/statbank/table/06929/tableViewLayout1/ (abgerufen am 30.03.2022).
12 Vgl. https://www.katholisch.de/artikel/33726-bode-zum-umgang-mit-kirchenaustritten-muessen-eine-art-klagemauer-sein (abgerufen am 31.03.2022).

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