Immer weniger Zeitgenossen haben Verständnis dafür, dass die Kirchen ihre Mitgliedsbeiträge durch staatliche Finanzbehörden einziehen lassen dürfen. Das Recht auf Erhebung einer „Kirchensteuer“ erscheint vielen als ein Relikt aus Tagen kirchlicher Dominanz, das in Zeiten gewachsener religiös-weltanschaulicher Vielfalt dringend auf den Prüfstand zu stellen sei. Ein entsprechender Beschluss der „Bundesarbeitsgemeinschaft Säkulare Grüne“ macht argumentative Probleme der Kritiker sichtbar.
In letzter Zeit sind vermehrt Stimmen zu vernehmen, die auf eingreifende Änderungen bei der Kirchenfinanzierung dringen. Dabei stehen nicht nur die sog. „Staatsleistungen“ im Fokus, sondern teils auch die Kirchensteuer. So wurde bei der Delegiertenversammlung der „Bundesarbeitsgemeinschaft Säkulare Grüne“ im Dezember 2021 ein Positionspapier mit dem sprechenden Titel „Überwindung der Kirchensteuer“ verabschiedet.[1] Darin wird die fragliche Praxis als Paradigma des Übels der historisch eingeschliffenen Privilegierung der Kirchen und der „Diskriminierung“ anderer Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften eingestuft.[2]
Derlei Äußerungen werfen eine religionspolitische Schlüsselfrage auf: Stellt das Recht auf die Verwaltungsdienstleistung des staatlichen Einzugs von Mitgliedsbeiträgen, das den Kirchen als Körperschaften öffentlichen Rechts zugebilligt wird, eine religionsrechtlich bedenkliche Privilegierung gegenüber anderen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften dar?
„Diskriminierung“! – Von gleichermaßen Privilegierten?
Dem verbreiteten Eindruck steht ein Umstand entgegen, der in einschlägigen Verlautbarungen gerne unterschlagen wird: Auch andere Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften besitzen den Körperschaftsstatus und können infolgedessen selbst ebenfalls jene staatliche Steuererhebungsdienstleistung in Anspruch nehmen – was sie aber großenteils nicht tun.[3] Zu diesen Gemeinschaften gehören beispielsweise einige Landesverbände des Humanistischen Verbandes Deutschlands.[4] Kann aber die gesetzliche Begünstigung einer Gemeinschaft als Privilegierung und mithin als Diskriminierung anderer Gemeinschaften gewertet werden, wenn diese anderen potenziell in derselben Weise begünstigt werden, darauf aber aus freien Stücken verzichten?
Das wäre eine sonderbare Behauptung. Sie wird daher im besagten Beschlusstext der „Säkularen Grünen“ leicht modifiziert. Demnach besteht die Privilegierung (resp. Diskriminierung) wenn nicht dem Gesetzestext nach, so doch „im Ergebnis“. „Im Ergebnis“ generieren die Kirchen, die zu ihrer Finanzierung auf die Möglichkeit der staatlichen Verwaltungshilfe zurückgreifen, im Verhältnis zu den Mitgliedszahlen weit höhere Einnahmen als diejenigen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, die einfache Mitgliedsbeiträge erheben. Dies liegt vor allem daran, dass die Kirchensteuer durch die prozentuale Bemessung an der Einkommensteuer (acht oder neun Prozent) bei vielen Mitgliedern einen erheblichen Betrag ergibt.
Darin dürfte auch der entscheidende Grund für die unterschiedlichen Verfahren zu suchen sein: Es wird jeweils eine unterschiedliche Beitragszahlungsbereitschaft veranschlagt. Aufgrund der lange herrschenden Kirchenmitgliedschaftskonvention und entsprechender Erwartungen empfinden es die Kirchenmitglieder immer noch als „normal“ und angemessen, so hohe Beiträge zu zahlen. (Und die es nicht mehr für angemessen halten, treten aus.) Kann man aber aus einer historisch gewachsenen Beitragsbereitschaft bei bestimmten Religionsgemeinschaften, die einst in Deutschland dominierten, eine Diskriminierung „jüngerer“ Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften ableiten, weil ihnen das Vorrecht, das ihnen gleichermaßen eingeräumt wurde, nicht dieselben Erträge brächte?
Abschaffung des Körperschaftsstatus! – Auch für humanistische Verbände?
Um sich nicht auf diese wenig schlagkräftige Kritik beschränken zu müssen, empfiehlt sich eine andere Argumentationsstrategie. Auf sie wird im genannten Positionspapier ebenfalls zurückgegriffen (ungeachtet der daraus sich ergebenden Inkonsistenzen). Es wird dort nämlich nicht nur die (historische) Benachteiligung bestimmter Körperschaften geltend gemacht, sondern es wird auch die Verleihung des Körperschaftsstatus an Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften überhaupt problematisiert, aus dem sich das Verwaltungshilfeprivileg ableitet: „Die herrschende Theorie und Praxis begünstigt anerkannte Körperschaften des öffentlichen Rechts.“ Sachlich fallen aus dieser Perspektive alle religiösen oder weltanschaulichen Körperschaften unter den Privilegierungsvorwurf, also neben den Kirchen etwa auch gewisse Freikirchen, jüdische wie alevitische Gemeinden sowie die betreffenden humanistischen Landesverbände – auch wenn das nicht gesagt wird.[5] Demgegenüber trifft die Diskriminierungsklage nur auf diejenigen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften zu, denen (z. B. aufgrund mangelnder organisationaler Rechtsförmigkeit) der Körperschaftsstatus vom Staat vorenthalten wird.
In der Konsequenz dieses Arguments sollten sich sämtliche Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften (einschließlich z. B. des Humanistischen Verbandes) nicht anders organisieren als der ADAC oder das Deutsche Rote Kreuz, nämlich als gemeinnützige Vereine. Damit gäbe der Staat ein zentrales Instrument der kooperativen Förderung von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften auf und machte einen großen Schritt in Richtung einer radikalen, „laizistischen“ Trennung. Dies würde aber nicht nur die großen christlichen Kirchen treffen, sondern eine Vielzahl anderer religiöser Gemeinschaften und weltanschaulicher Verbände. Und damit am Ende wohl auch Staat und Gesellschaft selbst, weil in ihnen wichtige Institutionen der Ethosbildung, Sinnstiftung und Transzendenzerinnerung maßgeblich geschwächt würden.[6]
Dieser Beitrag erschien in einer längeren Version in „Zeitschrift für Religion und Weltanschauung. Materialdienst der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen“, 85/2, 2022.
Fußnoten
↑1 | https://saekulare-gruene.de/fortschritt-wagen-ueberwindung-der-kirchensteuer-bag-beschluss-vom-11-12-2021/, zuletzt aufgerufen 09.03.2022 |
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↑2 | Vgl. demgegenüber den Beschluss der 40. Bundesdelegiertenkonferenz von Bündnis 90/Die Grünen „Religions- und Weltanschauungsfreiheit in der offenen Gesellschaft“ aus dem Jahr 2016, der lediglich eine Reform der Kirchensteuer hinsichtlich einiger Einzelaspekten fordert: https://cms.gruene.de/uploads/documents/RW-01_Religions-_und_Weltanschauungsfreiheit.pdf, zuletzt aufgerufen am 09.03.2022. Vgl. ferner den aktuellen Koalitionsvertrag: Mehr Fortschritt wagen – Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit. Koalitionsvertrag 2021–2025 zwischen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD), Bündnis 90/Die Grünen und den Freien Demokraten (FDP), https://tinyurl.com/4yz67384, S. 111, zuletzt aufgerufen am 09.03.2022. Dort wird das „kooperative Trennungsmodell“ unterstrichen, die Kirchensteuer bleibt unerwähnt. |
↑3 | Kirchensteuer erheben in Deutschland neben den katholischen Diözesen und den evangelischen Landeskirchen das Bistum der Altkatholiken, die freireligiösen Gemeinden Baden, Offenbach und Pfalz und, als „Kultussteuer“, eine Reihe von Israelitischen Kultusgemeinden. Diese staatliche Dienstleistung ist übrigens nicht umsonst. Es ist dafür eine Gebühr in Höhe von rund drei Prozent der Einnahmen zu entrichten. Im Jahre 2020 belief sich die Gebühr im Falle der evangelischen Landeskirchen auf rund 185 Millionen Euro. |
↑4 | Körperschaften des öffentlichen Rechts sind die HVD-Landesverbände Baden-Württemberg, Berlin-Brandenburg, Hessen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen (vgl. https://humanismus.de/hvd-vor-ort/landesverbaende/, zuletzt aufgerufen am 09.03.2022), aus dem humanistisch-freireligiösen Spektrum ansonsten der „Bund für Geistesfreiheit Bayern“ (https://www.bfg-bayern.de/, zuletzt aufgerufen am 09.03.2022), die „Humanistische Vereinigung“ (https://www.humanistische-vereinigung.de/, zuletzt aufgerufen am 09.03.2022) und die „Unitarische Freie Religionsgemeinde Frankfurt am Main“ (https://www.unitarier.net/, zuletzt aufgerufen am 09.03.2022). An Religionsgemeinschaften sind zu nennen (in alphabetischer Reihenfolge): die Ahmadiyya Muslim Jamaat (in Hamburg und Hessen), die Alevitische Gemeinde Deutschland (in verschiedenen Bundesländern), die meisten Mennonitischen Gemeinden, die Bahai, der Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden, der Bund Freier evangelischer Gemeinden, der Bund Freikirchlicher Pfingstgemeinden, die „Christliche Wissenschaft“, die Christengemeinschaft, die Evangelisch-methodistische Kirche, die Heilsarmee, die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage (Mormonen), die Neuapostolische Kirche, die Selbständige Evangelisch-Lutherische Kirche, die Siebenten-Tags-Adventisten und „Jehovas Zeugen“, außerdem die verschiedenen orthodoxen Kirchen. |
↑5 | Vgl. Fn. 6. |
↑6 | Eine etwas umfangreichere Version dieses Beitrags ist im Newsletter der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen erschienen: https://ezw.kjm6.de/nlgen/tmp/1642618598.html, zuletzt aufgerufen am 09.03.2022. Eine ausführlichere Fassung erscheint in: Zeitschrift für Religion und Weltanschauung. Materialdienst der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen 85/2 (2022). |
Westner Arno
Verfasst am 24.07.2022 um 22:11 UhrEine Einordnung der Kirchen als Vereine wie der ADAC oder das Rote Kreuz wäre eine gute Lösung. Ich hoffe, dass dies der Politik gelingt und Religion und Kirche endlich reine Privatsache werden.