Nach christlichem Selbstverständnis gilt die christliche Botschaft jedem. Das gilt auch für diejenigen, die die 3G-Regel nicht einhalten. Die Kirchen stehen, insbesondere vor den Gottesdiensten zu Heiligabend, vor dem Dilemma, entweder solchen Gläubigen den Zutritt zu verwehren oder aber diese Gottesdienste von vornherein nur für eine viel zu geringe Zahl von Teilnehmern zu öffnen. Auch die 3G-Regel für Gottesdienste beinhaltet schwerwiegende Eingriffe in die Religionsfreiheit. Sowohl aus rechtlicher als auch aus kirchlicher Sicht darf es keine Gewöhnung daran geben.
Als Folge von Impfungen und umfangreichen Testangeboten ist die Freiheit zu öffentlichen Veranstaltungen in Zeiten der Corona-Pandemie in den einschlägigen Regelungen erweitert worden. So erlauben „3G“-Optionen in viel größerem Ausmaß als bisher Zusammenkünfte von Menschen. Trotz dieser erfreulichen Tendenz bleibt daran zu erinnern, dass jede Regelung, die die Zusammenkunft von Menschen erschwert, einen Grundrechtseingriff darstellt – auch wenn sie gegenüber vorherigen Einschränkungen eine Erleichterung darstellt. Vor dem Hintergrund der Grundrechte ist ungehinderte Freiheit der rechtliche Normalzustand, die Beschränkung die rechtfertigungsbedürftige Ausnahme. Dies gilt auch für Regelungen zu Gottesdiensten.
In der ersten Welle der Corona-Pandemie 2020 waren Einschränkungen der Gottesdienste besonders einschneidend. Sogar ein Gottesdienstverbot zu Ostern ist vom Bundesverfassungsgericht angesichts der Gefährlichkeit des Virus und der Unklarheit über den Verlauf der Pandemie bei noch fehlenden Impfmöglichkeiten in einer Eilentscheidung nicht aufgehoben worden. Allerdings betonte das Gericht dabei, dass ein Gottesdienstverbot ein überaus schwerwiegender Eingriff in die Glaubensfreiheit sei und einer fortlaufenden strengen Prüfung seiner Verhältnismäßigkeit anhand der jeweils aktuellen Erkenntnisse bedürfe.[1]
Derzeit haben wir es nicht mehr mit Gottesdienstverboten zu tun. Gleichwohl bedeuten auch die derzeitigen erleichterten Regelungen für Gottesdienste schwerwiegende Eingriffe in die Religionsfreiheit. Es ist zwar sehr erfreulich, dass etwa in Bayern unter Einhaltung der 3G-Regel ein Gottesdienst ohne Personenobergrenze möglich ist. Da dies allerdings mit sich bringt, dass ausschließlich Geimpfte, Genesene oder auf das Coronavirus negativ Getestete teilnehmen dürfen und da während des Gottesdienstes eine medizinische Maske zu tragen ist, sind auch damit erhebliche Einschränkung der Religionsfreiheit verbunden. Wenn eine Kirchengemeinde diese 3G-Option wählt, ist das für diejenigen, die die 3G-Regel nicht einhalten wollen, praktisch mit einem Gottesdienstverbot verbunden. Ähnliche Wirkungen hat aber auch die Alternative, nämlich Gottesdienste ohne Maskenpflicht, aber unter Einhaltung eines Mindestabstands von 1,50 m. Dabei ergibt sich die höchstzulässige Anzahl der Teilnehmer aus der Möglichkeit der Einhaltung des Abstands: Dadurch kann nur eine sehr begrenzte Zahl am Gottesdienst teilnehmen – alle anderen sind ausgeschlossen. Für diese kommt das einem Teilnahmeverbot gleich. Das kann namentlich an den bevorstehenden Festtagen eine erhebliche Zahl sein. Insbesondere am Heiligen Abend ist in vielen Kirchengemeinden ein solcher Zulauf zu erwarten, dass auch bei größtmöglicher Ausnutzung aller Kapazitäten bei dieser Variante nicht für alle ein Gottesdienstbesuch gewährleistet werden kann.
Beide Optionen, durch Mindestabstand beschränkter Zugang oder keine Kapazitätsbeschränkung, aber 3G-Regel und Maskenpflicht, beinhalten auch für die Religionsgemeinschaften schwerwiegende Eingriffe in ihre eigene Religionsfreiheit: Die erste Option wegen der Einschränkung der möglichen Teilnehmerzahl und damit der Funktion des Gottesdienstes, die christliche Botschaft allen zugänglich zu machen, die zweite Option (bei Einhaltung der 3G-Regel) nicht nur wegen der Maskenpflicht im Gottesdienst, sondern auch deshalb, weil nach christlichem Selbstverständnis die christliche Botschaft jedem gilt und daher auch jeder Zugang zum Gottesdienst haben muss. Das gilt auch für diejenigen, die – aus welchen Gründen auch immer – die 3G-Regel nicht einhalten. Für die Kirchen ist es eine erhebliche Zumutung, die Teilnahme am Gottesdienst von der Einhaltung der 3G-Regel abhängig zu machen. Sie stehen damit, insbesondere vor den Heiligabend-Gottesdiensten, vor einem Dilemma: Möglichst vielen den Zugang zu ermöglichen, aber unter Einhaltung der 3G-Regel und mit Maskenzwang, oder Zugang für Jeden, aber mit sehr begrenzter Kapazität und daher dem Zwang, Glaubende abweisen zu müssen. Beides widerspricht dem kirchlichen Selbstverständnis fundamental, beides beinhaltet überaus schwerwiegende Eingriffe sowohl in die Religionsfreiheit der Kirchen als auch die der betroffenen Gläubigen.
Damit ist nicht gesagt, dass diese Einschränkungen verfassungswidrig sind. Sie lassen sich derzeit wohl durch die nach wie vor bestehenden Gefahren für die Gesundheit anderer Gottesdienstbesucher und für das Gesundheitssystem rechtfertigen. Die dafür erforderliche strenge Verhältnismäßigkeitsprüfung legt es aber nahe, nach anderen Optionen zu suchen. So könnte man daran denken, soweit dies architektonisch möglich ist, getrennte Bereiche einzurichten: solche, in denen die Abstandsregeln eingehalten und Masken getragen werden müssen und zu denen Gottesdienstbesucher ohne Kontrolle Zugang haben, während in anderen Bereichen der Kirche keine Abstände eingehalten werden müssen, dafür aber die 3G-Regel gilt. Insofern wird vieles von den örtlichen Gegebenheiten abhängig sein. Jedenfalls aber gilt: Auch die derzeitigen Einschränkungen der Gottesdienste unterliegen als schwerwiegende Grundrechtseingriffe strenger Verhältnismäßigkeitsprüfung. Sowohl aus rechtlicher als auch aus kirchlicher Sicht darf es keine Gewöhnung an sie geben.
Fußnoten
↑1 | BVerfG, NJW 2020, 1427 |
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