Gesundheitsschutz beim Freitagsgebet

09. 12. 2021

Unter pandemischen Bedingungen ist die gemeinschaftliche Begehung von religiösen Festen nur erschwert möglich. Muslimische Vereine und Moscheen haben auf die Pandemie zügig reagiert und entsprechend der aktuellen Lage ihre Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie angepasst. Das Freitagsgebet ist davon besonders betroffen: Wie argumentieren muslimische Gelehrte für die Legitimität der eingeschränkten Ausführung von Freitagsgebeten (z. B. unter 2G bzw. 3G)? Der vorliegende Beitrag geht den islamrechtlichen Grundlagen solcher Entscheidungen nach.

Die bisherige Entwicklung: Eine Übersicht

Die Covid-19-Pandemie ist auch eine Herausforderung für Religionsgemeinschaften, da sie direkte Auswirkungen auf gemeinschaftlich gefeierte religiöse Feste und Gottesdienste hat. Unter den Pandemie-Bedingungen sind solche Zusammenkünfte aufgrund der Infektionsgefahr nur erschwert möglich. Bereits im Jahre 2020 mit der rapiden Verbreitung der pandemischen Lage entschieden viele Religionsgemeinschaften, physische Zusammenkünfte zu unterbinden.
Die muslimischen Religionsgemeinschaften schlossen sich diesem Trend zügig an. Die Folge war u. a., dass Freitagsgebete zunächst ausgesetzt wurden. In muslimisch geprägten Ländern wurden sogar Gebetsrufe, um zu den täglichen gemeinschaftlichen Gebeten zu rufen, angepasst: Anstatt zum Gebet in der Moschee zu rufen, wurde die Aussage „Auf zum Gebet“ (ḥayya ʿalā ṣ-ṣalāh) mit „[Verrichtet] das Gebet in Euren Häusern“ (aṣ-ṣalātu fī buyūtikum) ausgerufen. Verschiedene Online-Formate, in denen Predigten gehalten wurden, haben Gebete, die man im eigenen Heim verrichtet hat, begleitet. Es wurde sogar diskutiert, ob das Freitagsgebet zu Hause per Videostream verrichtet werden durfte. Grundsätzlich war man dagegen, denn der Ersatz für das Freitagsgebet ist das gewöhnliche Mittagsgebet (ṣalāt aẓ-ẓuhr), weshalb das Freitagsgebet nicht individuell verrichtet werden durfte. Es wurde auch darüber diskutiert, ob die Pilgerfahrt stattfinden soll und ob Covid-Impfungen religionsrechtlich unbedenklich sind. Die grundsätzliche Haltung zur Impfung ist aktuell, dass sie religionsrechtlich zulässig (ǧāʾiz) ist. Eine Verpflichtung wurde bisher nicht ausgesprochen, ist auch nicht zu erwarten. (In diesem Fall müsste man bei Unterlassung von einer Sünde ausgehen, was die Gelehrten bisher anscheinend vermeiden wollen.)[1] Aufgrund der aktuellen pandemischen Lage wird nun diskutiert, unter welchen Bedingungen Freitagsgebete abgehalten werden können bzw. sollen: 2G, oder doch 3G?

Islamrechtliche Grundlagen zur Entscheidung eingeschränkter Gemeinschaftsgebete

Begründet werden die bisher beschriebenen Entscheidungen grundsätzlich mit Rückbezug auf prinzipielle Aussagen im Koran, historischen Beispielen aus der Sunna und einigen Rechtsprinzipien bzw. Maximen (qawāʿid), die allgemein anerkannt sind. Aus dem Koran werden oft Sure 2:195 und 4:29 zitiert, in denen aus unterschiedlichen Gründen betont wird, dass man sich selbst nicht ins Verderben stürzen soll. Aus der Sunna wird zitiert, dass der Prophet gesagt habe, man solle sich nicht in solche Gegenden begeben, in denen eine Epidemie bekannt ist. Umgekehrt gilt auch, dass man als Bewohner*in dieser Gegend sie nicht verlassen soll (, um die Epidemie zu kontrollieren).[2] Den allgemein anerkannten Maximen können wir entnehmen, dass der Schutz des Lebens als übergeordnetes Ziel der Scharia besonderen Schutz genießt. Wir wissen aber auch, dass dies auch für den Schutz der Religion gilt. Weitere Maxime helfen, eine Entscheidung zwischen den kollidierenden Interessen zu treffen: a) Schaden muss behoben werden (aḍ-ḍarar yuzāl), b) Gewissheit kann durch Zweifel nicht behoben werden (al-yaqīn lā yazūl bi-š-šakk).[3] Wir wissen mit Sicherheit, dass uneingeschränkte Kontaktpflege den Verlauf der Pandemie negativ beeinflusst. Also können wir feststellen, dass der uneingeschränkte Kontakt zum Schaden führt, der nach Prinzip a) behoben werden muss. Denn die Pflege der religiösen Verpflichtungen ist unter Kontaktbeschränkungen durchaus möglich; der sichere Vollzug solcher Handlungen ohne Kontaktbeschränkung jedoch nicht. Entsprechend werden sich muslimische Gemeinschaften an Maßnahmen orientieren, die einen sicheren Vollzug garantieren. Beide Prinzipien werden auch leitend dafür sein, um zu entscheiden, ob sich Moscheegemeinden für die Freitagspredigt unter 2G oder 3G entscheiden werden. Wenn mit Sicherheit feststeht, dass 3G die Pandemielage nicht eindämmen kann, wird man wohl eher den strengeren Weg gehen wollen. Grundsätzlich ist die Tendenz unter den Gelehrten die, dass sich Moscheevereine nach den staatlichen Vorgaben richten sollen. Konkret heißt dies: Wenn es eine Vorschrift für 2G geben wird, werden Moscheegemeinden dem nicht mit 3G widersprechen. Die Frage nach 2G oder 3G wird sich also nach der Expertise von Epidemiolog*innen, staatlicher Empfehlung bzw. Entscheidung und der Gefahrenabschätzung erfolgen. Leitidee wird, wie die religiösen Quellen und die allgemeinen Prinzipien zeigen, die Risikominimierung und Schutz der Gesundheit der Menschen sein, wie die Erfahrung aus dem letzten Jahr zeigt.

Fußnoten

Fußnoten
1 Beobachten lässt sich dies in den Fatwas des European Council for Fatwa and Research vom 25.-28. März 2020: https://www.fatwarat.de/guide-corona/; Fatwa-Guide: https://hakkiarslanhome.files.wordpress.com/2020/05/fatwa-guide.pdf
2 S. z. B. Muslim: Ṣaḥīḥ, Kitāb as-Salām, Hadith Nr. 93 (2218): https://sunnah.com/muslim:2218b (Zugriff: 06.12.2021).
3 Für Näheres über diese Prinzipien s. Birgit Krawietz: Hierarchie der Rechtsquellen des tradierten sunnitischen Islam, Berlin: Duncker & Humblot, 2002, S. 237–242.

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